In einem Café sitzt eine Mutter mit einer Gruppe von Mädchen. Die Kinder haben Spaß, springen über die Stühle, lachen und spielen, wie Kinder es tun. Auf dem benachbarten Platz sitzt ebenfalls eine Mutter, doch das Bild sieht komplett anders aus. Müde und erschöpft sieht sie ihrem Sohn dabei zu, wie er sein Eis verspeist. Der Junge ist das Gegenteil eines normalen Erstklässlers, er ist ruhig, abwesend und scheint von der Welt um sich herum so gar nicht angetan zu sein.
Mit diesem Bild lässt sich „The Babadook“ in einer Nussschale beschreiben. Der Film zeigt die Beziehung zwischen von Amelia (Essie Davis) und ihrem Sohn Samuel (Noah Wiseman), eine Gute ist es nicht. Beide leiden merklich unter dem Verlust des Vaters, der in der Geburtsnacht des Jungen tödlich verunglückt ist. Samuel zog sich mangels Optionen mehr und mehr in eine Fantasiewelt zurück, was Amelia wiederum schwer belastete. Schon zu Beginn des Films ist die Mutter ratlos, wie sie mit ihrem quirligen und ständig aufgedrehten Außenseiter von einem Kind alleine klarkommen soll.
Bevor Amelia sich in eine ihrer unzähligen schlaflosen Nächte verabschiedet, liest sie ihrem Sohn eine Gutenacht-Geschichte seiner Wahl vor. Aus dem Bücherregal kramt Samuel ein Buch mit dem Titel „Mr. Babadook“ hervor. In dem vermeintlichen Kinderbuch geht es um die gruselige Titelfigur Mr. Babadook, der sich des nachts in Zimmer schleicht und Angst und Terror verbreitet. Sichtlich schockiert klappt Amelia das Buch zu, doch die einleitenden Worte „if it’s in a word or it’s in a look, you can’t get rid of the Babadook“ bewahrheiten sich und Samuel entwickelt eine ungesunde Faszination von Mr. Babadook.
Die psychologischen Aspekte von Albträumen und Nachtschrecken sind eine schier unendliche Grube an Potential für Gruselfilme, die bisher kaum richtig ausgeschöpft wurde. Unter dem Begriff „Bedroom Visitor“ ist ein besonders häufiges Phänomen bekannt, bei dem man zwischen Wach- und Schlafzustand schwebt und einen schemenhaften Umriss einer Person im Schlafzimmer wahrnimmt. Während sich die albtraumhafte Präsenz des Mr. Babadook langsam aber sicher in die Leben der beiden Protagonisten schleicht, nutzt Regisseurin/Autorin Jennifer Kent dieses kraftvolle Motiv mit großem Effekt.
Die Wurzel des psychologischen Schreckens ist kein übernatürlicher Dämon und auch kein böser Geist, der in ein Buch gebannt wurde. Er ist eine Metapher für etwas, das sich in den Köpfen von Amelia und Samuel breitmacht und ihre Leben nach und nach beherrscht und zu zerstören versucht.
„The Babadook“ ist bereits der dritte Film von weiblicher Hand, der auf dem Fantasy Filmfest läuft. Und genau wie Leigh Janiaks „Honeymoon“ und Marjane Satrapis „The Voices“ ist er ein Treffer. Seine Stärke liegt nicht in den effektiven und stetig eskalierenden Gruselsequenzen, sondern in der unglaublichen Sensibilität, mit der Jennifer Kent die Beziehung zwischen Mutter und Kind aufbaut. Der verstorbene Vater hängt noch immer wie ein Geist im Haus und fordert seinen Tribut. Amelia findet auch nach sieben Jahren keinen Anschluss, ihre eigene Schwester distanziert sich von ihr, Freundschaften mit anderen Frauen sind unmöglich, Beziehungen zu Männern sowieso.
Ihr Gegenüber sitzt der 7-jährige Samuel, ein hochintelligenter aber auch irgendwie merkwürdiger Junge, der den Kontakt zu seinen Mitmenschen genau so wenig aufrecht erhalten kann, wie seine Mutter. Gegenseitig treiben die beiden sich in eine Spirale aus Angst und Schlaflosigkeit, während der man zu keiner Zeit das Mitgefühl für die Charaktere verliert, egal wie katastrophal die Geschehnisse sind. Die beiden Schauspieler ergänzen sich makellos und als jemand, der sich normalerweise von Kinderdarstellern sowie Kinderfiguren schnell irritiert zeigt, kann ich dem jungen Noah Wiseman eine herausragende Leistung bescheinigen, die sich zu den Besten seiner Altersklasse gesellt.
Kleine und subtile Details wie ein schmerzender Kiefer, der oft mit Schlafstörungen einhergeht, komplettieren das allgegenwärtige Gefühl von Erschöpfung, Verzweiflung und Unruhe.
Die Australierin Jennifer Kent leistet ein beeindruckendes und extrem stimmiges Spielfilmdebüt. „The Babadook“ ist ein sorgfältiges und sensibles Psychogramm, das den zerrütteten Seelenzustand seiner Protagonisten anhand einer intelligent eingesetzten und wunderbar aufgelösten Metapher auf die Leinwand bringt.
8,5/10
The Babadook
Horror, Thriller
Regie: Jennifer Kent
Buch: Jennifer Kent
Darsteller: Essie Davis, Daniel Henshall, Tiffany Lyndall-Knight, Cathy Adamek, Adam Morgan
Kinostart DE: ??.??.???? (deutschlandweite Screenings im August/September auf dem Fantasy Filmfest)
Kinostart US: ??.??.????
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