Nachdem ich fünf Minuten auf ein leeres Dokument gestarrt und noch immer keinen guten Anfang für diesen Artikel gefunden habe, springe ich einfach rein. Die Wahrheit ist, „The Forbidden Room“ vom kanadischen Experimentalfilmer Guy Maddin ist ein Biest. Ein Biest, dem man sich nur schwer annähern kann, da mir ganz einfach die Worte fehlen, um ihn zu beschreiben und zu beurteilen. Mit meinen rhetorischen Mitteln, die dem Film nur gerade eben angemessen scheinen, will ich es trotzdem versuchen.
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Ich fange mit dem Einfachsten an: Der Struktur des Films. Guy Maddin ist zwar respektierter und berühmter Experimentalfilmer, mit „The Forbidden Room“ haben er und sein Ko-Regisseur Evan Johnson allerdings einen Spielfilm abgeliefert. Zumindest auf Drehbuchebene. Am Einfachsten sind die Geschehnisse als mathematische Gleichung zu visualisieren. Der Film macht Klammern auf. Eine Geschichte wird erzählt. Darin beginnt als Traum, Lied, Brief oder Radiosendung die Nächste. Dies wiederholt sich einige Male, bis die Klammern nacheinander geschlossen werden. Das Ganze passiert zwei Mal. Um diese beiden Male herum sind weitere Klammern, die alle Episoden umfassen. Ja, dieser Aspekt von „The Forbidden Room“ ist tatsächlich der simpelste. Selbst ohne einen herausstellenden visuellen Stil oder einen extravaganten Inhalt der Episoden wäre dieser Film eine verschachtelte Wundertüte von Film. Ein dunkler Anhaltspunkt, um das Erlebnis einzuordnen, wäre Christopher Nolans „Memento“. Auch hier muss man sich anstrengen, den Faden zu behalten und nachzuvollziehen, welche Episode sich aus welcher ergeben hat und wie das Netz zusammenhängt. Natürlich verliert man dabei des Öfteren den Faden. Und das ist erst der Anfang.
Obwohl es sonst nicht meine Art ist, muss ich auf den Trailer verweisen, um einen Eindruck der visuellen Wucht zu vermitteln, die dieser Film auf sein Publikum entlädt. Inspiriert aus unzähligen Vorlagen sind die Bilder des Films ein chaotisches Wirrwarr, das mit höchster Sorgfalt orchestriert wurde.
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Ähnlich verhält es sich mit der akustischen Welt, die Guy Maddin hier kreiert hat. Die Ästhetik des Films wird primär von einem simulierten Look bestimmt, der ihn wie abgenudelten 35mm-Film wirken lässt. Entsprechend wird die Tonkulisse von Knacken, Rissen und Rauschen dominiert. Die Stilvorlagen, an denen Maddin sich bedient, stammen hauptsächlich aus Filmen, wie man sie seinerzeit in Bahnhofskinos gefunden hat. Die Grindhouse-Optik setzt sich aus stark entfremdeten Bildern, Zwischentiteln und einem wilden Mix aus verschiedenen Stilen zusammen. Ich kann es nicht anders sagen, „The Forbidden Room“ ist ein visuelles Delirium, ein zwei Stunden langer Rausch, wie ich ihn definitiv noch niemals gesehen habe.
Für die Augen und Ohren ist dieses Ungeheuer reichhaltige Nahrung. Die dritte Säule, auf der Maddins und Johnsons Werk steht, ist die Handlung der Episoden. Teils kurz, teils lang, teils simpel und teils kompliziert bietet der Film auch dort eine unvorstellbare Dynamik. Zusätzlich handelt es sich bei den vielen kurzen Episoden um Stories, die sich nicht unbedingt leicht einordnen lassen. Selten (so gut wie nie) folgen sie klassischen Regeln was die Entwicklung von Charakteren oder Plot angeht. Immer jedoch sind sie unterhaltsam, kurios und vor allem auf eine absurde Art und Weise amüsant. Hier lässt sich „The Forbidden Room“ auch in seine Seele blicken und offenbart, was er eigentlich ist und will. Er ist kein düsterer, anspruchsvoller oder prätentiöser Film. Er ist ein wahnsinniges Kaleidoskop, dass die ungeheure Vielfalt von Form, Farbe und Inhalt auf eine Art und Weise zelebriert, die nicht nur schwindelerregend originell, sondern auch schier magnetisch ist.
Es ist zwecklos, in den fragmentierten Geschichten von „The Forbidden Room“ nach verstecktem Sinn oder Hintergedanken zu suchen. Dieses wohlgesonnene Biest von Film umarmt die Seele und ist absolutes Pflichtprogramm für alle, die sich für visuelle oder narrative Kunst interessieren. Als lebenslanger Cineast bin ich vor allem dankbar. Guy Maddin und Evan Johnson, weil sie etwas geschaffen haben, dass sich genau so schwer definieren lässt wie P.der die Liebe. Und natürlich dem SHIVERS-Festival, weil sie mir die vorerst letzte Gelegenheit gegeben haben, dieses monumentale Stück auf einer großen Leinwand erleben zu können.
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10/10
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The Forbidden Room (2015)
Alles
Regie: Guy Maddin, Evan Johnson,
Buch: Guy Maddin, Evan Johnson, Robert Kotyk, John Ashbery, Kim Morgan
Darsteller: Roy Dupuis, Udo Kier, Mathieu Amalric, Gregory Hlady, Clara Furey, Charlotte Rampling, Geraldine Chaplin, Maria de Medeiros
Kinostart DE: –
Kinostart US: –
Heimkinostart DE: –
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