Es ist 1988 und der Haussegen bei Familie Connors hängt gehörig schief. Der augenscheinliche Höhepunkt der familiären Probleme ereignet sich direkt zu Beginn des Films, als Mutter und Ehefrau Eve (Eva Green) von heute auf morgen vom Erdboden verschluckt wird. Ihr Mann Brock (Christopher Meloni) ist am Boden zerstört und sucht vergeblich nach Gründen für das plötzliche Verschwinden seiner Gattin. Auch nach einer langwierigen Untersuchung hat die örtliche Polizei keine Ahnung, was passiert sein könnte. Einzig Tochter Kat (Shailene Woodley) scheint von den mysteriösen Ereignissen kaum beeindruckt zu sein. Sie registriert die Abwesenheit ihrer Mutter bestenfalls als leichtes Ärgernis und fährt mit ihrem Leben unbeirrt fort. Über die nächsten drei Jahre macht sich allerdings doch eine allmähliche Neugier breit und Kat versucht, ihrer zerrütteten Familie auf den Grund zu gehen.
Zunächst wirkt „White Bird in a Blizzard“ wie die übliche Coming-of-Age-Geschichte über Jugend, Sexualität und verlorene Unschuld. Im gemütlichen Vorstadt-Setting der späten 80er-Jahre und untermalt mit lebhafter Popmusik der Epoche, konzentriert Regisseur Gregg Araki, der nach einer Romanvorlage von Laura Kasischke handelt, sich im ersten Teil des Films vor allem auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Bestimmt wird diese hauptsächlich von sexuellen Eigenschaften, allen voran der unausgesprochene Neid Eves auf den prächtig entwickelten und hocherotischen Körper ihrer Tochter. Themen wie Neid und unausgesprochene Konflikte sind der Kern, der unter der polierten und sauberen Oberfläche des Films unterschwellig brodelt.
Mit einem schonungslosen Auge für sexuelle Defizite, unbefriedigtes Verlangen und deren psychologische Konsequenzen inszeniert Araki zwischen den Zeilen das kaputte Zusammenleben der Connors‘, das vor allem in Flashbacks stattfindet. Bemerkenswert ist der Fokus auf die beiden weiblichen Charaktere, die mit allen ihren Unsicherheiten und Fehlern von Eva Green und Shailene Woodley erstklassig portraitiert werden. Der eigentliche Katalysator, das Verschwinden von Eve, gerät dabei fast in den Hintergrund, bis er zum Ende des Films wieder ins Rampenlicht tritt.
Genau wie seine Figuren spricht der Film seine eigentlichen Anliegen nur im Subtext an, was sie teilweise schwer identifizierbar macht. Irgendwo zwischen Sex, Egomanie, Beziehungsdynamik, Anziehungskraft, Körperlichkeit und Identitätsfindung lässt sich die eigentliche, pessimistische Aussage des Films finden. Durch erzählerische Lücken und die sorgfältige Platzierung vieler subtiler Details baut Araki ein reichhaltiges psychologisches Fundament für sein Familiendrama. Auch wenn die Wendungen zum Ende des Films viele der Fragen beantworten, hätte die Grundaussage des Films etwas mehr Fokus vertragen können.
Trotzdem schwingt immerzu eine beunruhigende Grundstimmung mit, die perfekt zum Thema passt. Die Perspektive des Films ist eine ungewöhnliche und überzeugende, die die zahlreichen Probleme der familiären und sexuellen Dynamik durch ein glaubhaftes, weibliches Auge beleuchtet. Shailene Woodley, die bereits zu den gefragtesten und fähigsten Schauspielerinnen ihrer jungen Generation zählt, leistet eine weitere facettenreiche und großartige Leistung, die „White Bird in a Blizzard“ trotz seiner Makel zu einer seltsam faszinierenden Geschichte macht.
8/10
White Bird in a Blizzard
Drama, Thriller
Regie: Gregg Araki
Buch: Gregg Araki (Drehbuch), Laura Kasischke (Buchvorlage)
Darsteller: Shailene Woodley, Eva Green, Thomas Jane, Christopher Meloni, Sheryl Lee, Angela Bassett, Gabourey Sidibe
Kinostart DE: ??.??.???? (deutschlandweite Screenings im August/September auf dem Fantasy Filmfest)
Kinostart US: 24.10.2014 (limited release)