Vor drei Jahren präsentierte der amerikanische Regisseur Mike Cahill mit seinem Spielfilmdebüt „Another Earth“ einen bemerkenswerten Einstand und einen der interessantesten Filme, die das Science-Fiction-Genre in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Vor der simplen aber eindrucksvollen Kulisse der Entdeckung eines Zwillingsplaneten in unserem Sonnensystem erzählte Cahill mit einem geringen Budget eine komplexe und vielseitige Geschichte über Isolation, Introspektion, Schuld und Sühne.
Im Zentrum seines zweiten Films „I Origins“ steht Ian Gray. Ein Forscher, getrieben von dem Ziel, das Prinzip Gott zu widerlegen und den Jahrtausende alten Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion ein für alle Mal zu lösen. Der Weg dahin ist die Entschlüsselung der genetischen Bausteine des menschlichen Auges und, so hofft Ian, schlussendlich dessen Züchtung. Die unerschütterlichen Perspektiven des jungen Doktoranden werden auf die Probe gestellt, als er durch eine Fügung des Schicksals seiner späteren Freundin Sofi begegnet. Rückblickend erzählt Ian in zwei Zeitebenen die Geschichte einer profunden Beziehung zwischen zwei gegensätzlichen Menschen und einer wissenschaftlichen Entdeckung mit dem Potential, die Definition der Menschlichkeit grundlegend zu verändern.
Analog zu seinem Debüt konstruiert Regisseur, Produzent und Autor Cahill erneut einen Rahmen aus Science-Fiction als philosophisches Grundgerüst und Hintergrund für ein sehr menschliches Drama. Im Vergleich zu „Another Earth“ jedoch geht „I Origins“ einige Schritte weiter und behandelt mit der Frage nach dem Ursprung der Menschheit eines der wohl ambitioniertesten Themen, dessen sich ein Künstler annehmen kann.
Passend zum Thema des Films beschäftigen sich alle seine Elemente mit der Suche nach Harmonie in Gegensätzen. Spiritualität und Rationalität, Glauben und Wissen, Schicksal und Zufall. In den Mittelpunkt all dieser Konzepte stellt Cahill einen Mann der Wissenschaft, dessen Kirche das Labor ist, und konfrontiert ihn auf seiner Suche nach der definitiven Antwort auf die Frage „Warum?“ mit Ereignissen und Erlebnissen, die nicht nur seine Denkweise, sondern auch die des Zuschauers herausfordern.
Trotz der deutlichen Diskrepanzen, die sich zwischen dem Protagonisten und seiner Umwelt im Laufe des Films auftun, wirkt „I Origins“ durchgehend harmonisch und spannt einen glaubhaften Bogen. Sein monumentales Grundthema geht Mike Cahill weniger kryptisch und um Einiges fokussierter an als in seinem Debüt. Dabei erweist er den spirituellen und wissenschaftlichen Eckpfeilern seines Films den angemessen Respekt und schafft es, die beiden gegensätzlichen Lebensphilosophien harmonieren zu lassen.
Mit seinem zweiten Film festigt Mike Cahill einen unmissverständlichen und einzigartigen Stil und etabliert sich endgültig als einer der talentiertesten jungen Geschichtenerzähler der vereinigten Staaten. „I Origins“ ist ein zutiefst berührendes Erlebnis, das den Spagat zwischen hochgeistigen philosophischen Ansätzen und einer facettenreichen Charaktergeschichte perfekt meistert und das Potential hat, sich zu einem Lehrstück für die Möglichkeiten des hochgeistigen, philosophischen und sogar religiösen Science-Fiction-Films zu entwickeln.
10/10
I Origins
I Origins – Im Auge des Ursprungs
Drama, Sci-Fi
Regie: Mike Cahill
Buch: Mike Cahill
Darsteller: Michael Pitt, Astrid Bergès-Frisbey, Brit Marling
Kinostart DE: 25.09.2014
Kinostart US: 18.07.2014 (limited release)