Manche Hollywood-Karrieren nehmen kuriose Wendungen. Vor knapp 20 Jahren konnte man den professionellen Iren Liam Neeson in der Titelrolle von Steven Spielbergs monumental-deprimierendem Weltkriegsdrama „Schindlers Liste“ bestaunen. Es folgten bunt gemischte Auftritte zwischen episodischen Liebeskomödien („Tatsächlich Liebe“) und hochkarätigen Comic-Verfilmungen („Batman Begins“). Im stolzen Alter von 58 brach für Neeson mit „96 Hours“ („Taken“) eine neue Ära an. Plötzlich war er ein hoch gehandelter Action-Star und tauchte auf dem Großteil seiner Filmposter mit gezückter Waffe und aufgerissenem Mund auf. Wie es sich für moderne Actionfilme gehört, wurde das dramatische Talent des Schauspielers in diesen Auftritten kaum gefordert. Mit „Ruhet in Frieden“ („A Walk among the Tombstones“) schickt er sich an, die Schauspielerei wieder aufzunehmen.
Anfang der 90er war Matthew Scudder (Neeson) ein gewöhnlicher, nur marginal funktionierender New Yorker Polizist mit grausamer Frisur, der sich statt eines Sandwiches zur Mittagspause gerne den ersten Drink genehmigte. Ein unschöner Vorfall hat ihn zwar vom hochprozentigen Teufel auf seiner Schulter erlöst, aber auch von seinem Beruf. Heute ist er ein ebenso gewöhnlicher, wenn auch trockener, Privatdetektiv. Von seinem neusten Auftrag ist er nicht begeistert. Ein Drogendealer möchte die Männer aufspüren, die seine Frau entführt und ermordet haben. Nach anfänglicher Zurückhaltung und der Erkenntnis, dass die Täter ihre Show bereits mehrmals abgezogen haben und wahrscheinlich weitere Coups planen, akzeptiert Scudder den Auftrag und macht sich auf den Weg durch den menschlichen Abschaum New Yorks, um seinen Fall zu lösen.
Da es inzwischen unvermeidbar ist, tritt Neeson auf dem Poster des Films erneut mit Handfeuerwaffe auf. Immerhin ist sie nicht aufs interessierte Publikum gerichtet, also sind Fortschritte zu verzeichnen. Auch vom Superhelden im Frührentenalter ist in „A Walk among the Tombstones“ nichts zu sehen. Tatsächlich löscht Liam in seinem aktuellen Film keine europäische Hauptstadt aus und ist kein Meister der obskuren, fernöstlichen Kampfsportarten. Die Rolle des ausgebrannten und desillusionierten Privatdetektivs steht ihm, auch wenn sie längst nicht mehr der originellste Charaktertyp ist, den das Krimigenre zu bieten hat.
Der Film, der auf einer fast 20-teiligen Buchreihe des Schriftstellers Lawrence Block basiert, wandelt auf den Spuren eines „8mm“, oder zumindest versucht er es. Obwohl die Elemente in der Theorie die selben sind, fehlt es „A Walk among the Tombstones“ an der schmutzigen, klebrigen, perversen Atmosphäre, die Joel Schumachers thematischen Bruder zu einem effektiven, ekligen Thriller machen. Dafür ist sein Stil viel zu konventionell und seine Szenen zu träge zusammengesetzt. Fragwürdig ist auch die Präsenz des unsäglichen Sidekicks, der hier nicht in Form eines verkanntem Genies und Porno-Verkäufers auftritt, sondern von einem Straßenjungen verkörpert wird, mit dem der Einzelgänger Scudder eine unnötige, unplausible Freund/Partnerschaft eingeht.
Funktionieren tut der geradlinige Thriller ausschließlich dank der Präsenz des irischen Raubeins, der von seinen größtenteils unbekannten Kollegen im Stich gelassen wird. Mit Ausnahme der beiden Übeltäter, die mit viel zu wenig Zeit bedacht werden, krankt der Film an flachen und uninteressanten Charakteren, deren Bögen so vorhersehbar sind wie das alljährliche Weihnachtsfest. Szenen, die von einer kreativem Prozess zeugen, sind zwar vorhanden, beschränken sich aber auf den Prolog und den folgenden Vorspann. Die Ideenarmut, von der vor allem die Inszenierung und die Schauspieler in „A Walk among the Tombstones“ betroffen sind, verhindert einen bleibenden Eindruck und macht Liam Neesons Ausflug ins Thrillergenre zu einem soliden, aber viel zu beliebigen Filmerlebnis.
5/10
A Walk Among the Tombstones
Ruhet in Frieden
Thriller
Regie: Scott Frank
Buch: Scott Frank (Drehbuch), Lawrence Block (Vorlage)
Darsteller: Liam Neeson, Maurice Compte, David Harbour, Dan Stevens
Kinostart DE: 13.11.2014
Kinostart US: 19.09.2014