In vielen Filmen gibt es die Abenteuer von Kindern und Jugendlichen über einen malerischen Sommer zu begutachten. Doch wo Filme wie „Stand By Me“ wie einen melancholischen Rückblick an vergangene Zeiten wirken, nimmt „Mustang“ eher die Form eines Albtraums an. Für fünf junge Schwestern der ländlichen Türkei hat die Zeit nach dem Schulabschluss vor allem eines zu bieten: Die rigorose Vorbereitung auf das verheiratete Leben und die schnellstmögliche Verkupplung mit einem geeigneten Liebhaber.
Die Leiden einer anachronistischen Gesellschaft
Von unserer westlichen Welt, die im Allgemeinen als zivilisiert bezeichnet wird, ist die Türkei nicht weit entfernt. Wird man jedoch Zeuge der Ereignisse in „Mustang“, befindet man sich gefühlt im Mittelalter. Weit ab von Istanbul, der Großstadt, die den jungen Mädchen als utopisches Ziel im Kopf herumgeistert, wird mit anderen Regeln gespielt. Ein Zwischenfall in Form von ausgelassenem Feiern mit einigen Jungs wird Lale (Günes Sensoy) und ihren vier Schwestern zum Verhängnis.
Fortan werden sie im eigenen Haushalt wie Gefangene behandelt und von ihrer Großmutter und ihrem Onkel darauf vorbereitet, ein Leben als hörige, loyale Weiber zu führen. Sobald die erste der Schwestern mit einer freudlosen Zeremonie weggeheiratet wird, geraten die Verhältnisse im türkischen Bergdorf aus den Fugen. „Mustang“ ist ein gnadenloser Querschnitt durch einen Teil der türkischen Gesellschaft, die noch immer in unserer Gegenwart präsent ist. In dieser Welt werden Frauen nach ihrem Aussehen, ihrem Gehorsam und vor allem ihrer Jungfräulichkeit geradezu gehandelt. Im Fall von Lale und ihren Schwestern trifft es fünf Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein. Der Beginn der sexuellen Selbstentdeckung wird rücksichtslos eingestampft und durch ein strenges Regiment ersetzt, das gelinde gesagt längst nicht mehr zeitgemäß ist.
Regisseurin Deniz Gamze Ergüven macht in ihrem ersten Langfilm auf einen Missstand aufmerksam, dem nicht genügend Aufmerksamkeit zuteil werden kann. Dabei folgt sie dem Regelbuch des Filmschaffens und beweist nicht nur ein Gespür für die Sorgen einiger ihrer Landsfrauen, sondern auch für außerordentlich schön beleuchtete und gefilmte Bilder.
9/10
Mustang (2015)
Drama
Regie: Deniz Gamze Ergüven
Buch: Deniz Gamze Ergüven, Alice Winocour
Darsteller: Ayberk Pekcan, Burak Yigit, Doga Zeynep Doguslu, Elit Iscan, Günes Sensoy, Ilayda Akdogan
Kinostart DE: –
Kinostart US: 20.11.2015
Heimkinostart DE: –
–
Die Rechte an allen verwendeten Grafiken in diesem Artikel liegen bei Weltkino