Kino ist immer auch Herzenssache. In den großen Multiplexen, die zwischen überteuerten Vorstellungen klebriges Popcorn unter den Sitzen aufsaugen, mag man diese Tatsache gerne aus den Augen verlieren. Die kleinen Bastionen, in denen die Vielfalt der Filmkunst gefeiert wird, sind jedoch nie weit entfernt. Im Falle des SHIVERS-Festivals haben sich eine Gruppe aus Kinomachern und Cineasten zusammengeschlossen, um eine Auswahl aus interessanten Genre-Filmen an den Mann zu bringen. Und das nicht etwa in einem großen Kultur-Puff wie Berlin, Hamburg oder München, sondern im Zebra, einem kleinen, gemütlichen Kino an der deutschen Südspitze. Zwischen dem 19. und 24. November 2015 werden dort aktuelle und vergangene Highlights des Genre-Kinos gezeigt. Wir freuen uns arg darüber, von der ersten Inkarnation des Events berichten zu dürfen und möchten im Vorfeld einen Überblick über das Festival und sein Programm verschaffen.
Fantasy Filmfest + Street Cred = Shivers
Deutsche Filmfreunde, die dem Genrekino nahe sind, werden am Fantasy Filmfest nicht vorbeikommen. Seit Jahren tourt das Festival durch die großen deutschen Städte und hat knapp 70 Filme aus den Bereichen Horror, Action, Science Fiction etc. im Gepäck. Mit den Nights und nun den White Nights gibt es sogar zwei kleinere Ableger, die die Wartezeit im Frühling und Winter überbrücken sollen.
Einen ähnlichen Auftrag erfüllt das SHIVERS-Festival in Konstanz. Doch wo das Fantasy Filmfest inzwischen zu einem weltbekannten Event und Sammelpunkt der Filmbranche geworden ist, steht das Baden-Württembergische Pendant noch in den vielversprechenden Kinderschuhen und bietet trotzdem Leckerbissen an, von denen der große Bruder nur träumen kann. So wird es zwei Vorstellungen klassischer Horrorfilme geben, die von originalen 35mm-Kopien vorgeführt werden. Überhaupt kann das mit Sorgfalt kuratierte Programm mit einigen Perlen aufwarten, die Genre-Fans (wie zum Beispiel diesen Autor) nach Konstanz treiben dürften.
Die Auswahl
Wer den Trubel der großen Filmfestivals bereits erlebt hat, wird die Krux der „Official Selection“ kennen. Das eigentliche Kernstück des Festivals, in dem die interessantesten Filme präsentiert werden, wird vom stets wachsenden Programm erdrückt und aus dem Flutlicht gedrängt. Der gemütliche Maßstab des fünftägigen SHIVERS-Festivals erlaubt es jedoch, die Perlen der globalen Genre-Kost ordentlich zu verkosten. Ein halbes Dutzend besagter Perlen gibt es zu bestaunen, darunter fünf Spielfilme und eine Doku.
Der Exot der ausgewählten Sechs ist ohne Zweifel „Crumbs“. Geschichten über verlorene Seelen, die durch eine postapokalyptische Welt stolpern, sind mitnichten etwas Neues. Allerdings kann wohl kaum jemand behaupten, bereits eine Untergangs-Vision aus Äthiopien gesehen zu haben. Es gibt nur selten Filme aus Ländern zu bestaunen, die auf der cineastischen Weltkarte quasi nicht vorhanden sind. Ein Genre-Film aus Äthiopien kommt einem Einhorn gleich, das unbedingt in Augenschein genommen werden muss. Wenn man Berichten zum Film glaubt, dürfte dieser Ausflug nicht nur außergewöhnlich, sondern auch sehr schön anzusehen sein.
Eine ausgedehnte Erkältung gepaart mit akuter Hauptstadt-Müdigkeit haben mir eine Sichtung von „The Forbidden Room“ im vergangenen Februar leider verhagelt. Umso aufgeregter bin ich also, dass ich eine zweite Chance bekommen habe, dieses Kleinod auf der Leinwand zu bestaunen. Nach einer langen Reihe von Kurzfilmen widmete der Kanadier Guy Maddin sich mit „The Forbidden Room“ nun einem Langfilm. Als fieberhafte, komplexe und visuell betörende Liebeserklärung an das Kino wird der Film beworben. Eines meiner zwei persönlichen Highlights des Festivals.
Die deutsche Produktion „Der Bunker“ hat ein unglaublich erfolgreiches Jahr gehabt. Nach einer Weltpremiere auf der Berlinale und zahlreichen Festival-Einladungen rund um den Globus macht das schräge Stück des Regisseurs Nikias Chryssos nun auch in Konstanz halt. Mit einer Prämisse, die an Lanthimos‘ „Dogtooth“ erinnert und einem Rucksack voll mit positiven Kritiken und Reaktionen sollte sich ein Besuch des Screenings in jedem Fall lohnen. Falls all das nicht reicht, wird der Filmemacher persönlich in Konstanz anwesend sein und sich den Fragen des Publikums stellen.
Die Klassiker
Als Kino noch Kino war schleppte man kiloschwere Filmrollen durch die Nation und fädelte sie mühevoll in gigantische Projektoren ein. Wer sich Cineast schimpft, weiß diese Praxis noch heute zu schätzen und freut sich über jede seltene Projektion, die noch immer von der altehrwürdigen 35mm-Rolle kommt. Als besonderen Trumpf hält das SHIVERS zwei dieser Projektionen im Ärmel und erweist Filmfans damit einen besonderen Dienst.
Zum klassischen „Frankenstein“ mit Boris Karloff muss man vermutlich kaum etwas sagen. Trotzdem möchte in an dieser Stelle loswerden, dass ich dieses essentielle Teil des alten Horror-Kinos noch nie gesehen habe und es ein besonderes Privileg ist, eine Erstsichtung in analoger Form genießen zu können.
Etwas weniger populär aber dafür umso interessanter ist Ken Russells „Die Teufel“ nach Aldous Huxley, ein britischer Film der frühen 70er, der dieser Tage nur schwer aufzutreiben ist. Irgendwo im Keller fand man augenscheinlich eine verstaubte 35mm-Kopie des Films, die nun ihren Weg ins Zebra Kino von Konstanz finden soll. Geile Sache.
Sonstige Schätze
Natur-Horror aus Irland („The Hallow“), Metal-Splatter-Spaß aus Neuseeland („Deathgasm“), asiatischer Rachethriller („The World of Kanako“). Meine Tips decken nur einen kleinen Teil des Programms ab. Zum Beispiel werden in zwei Vorführungen mit Shivers Shorts eine Reihe von Kurzfilmen präsentiert, unter denen auch ein neues Werk des amerikanischen Zeichners Don Hertzfeldt ist. Eine besondere Erwähnung möchte ich jedoch noch loswerden.
Charlie Kaufman ist eine eher unauffällige Figur des Independent-Kinos. Dass Ruhm und Reichtum nicht immer ein Indiz für die Qualität eines Künstlers und seiner Werke sind, ist nicht überraschend. Im Fall von Kaufman haben wir jedoch einen Filmemacher und Autor, der sich ganz unauffällig an einigen der besten Filme des neuen Jahrtausends beteiligt hat. Für sein Drehbuch zu „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ wurde er mit einem Oscar gekrönt. Außerdem schrieb er „Being John Malkovich“ und „Adaptation.“. Mit „Synecdoche, New York“ wagte er sich schließlich ins Regie-Fach und hat einen Film geschaffen, dessen Komplexität nur von seiner poetischen, melancholischen Schönheit übertroffen wird. Nun liefert er mit „Anomalisa“ seinen nächsten Streich ab, einen komplett in Stop-Motion gedrehten Film, den er natürlich auch geschrieben hat. Ich freue mich ungemein, Charlie Kaufmans nächstes Werk in Konstanz sehen zu können. Neben „The Forbidden Room“ ist „Anomalisa“ mein zweites persönliches Highlight im kleinen, aber sehr feinen Programm des SHIVERS-Festivals.
Für weitere Informationen über das Festival, sein Programm und den Austragungsort empfehle ich Besuche bei den Seiten des Festivals und des Zebra Kinos. Für ofenwarme und leckere Berichte vom Festival selbst richtet eure Augen und Ohren Ende November auf die publizistischen Kanäle des Napalm-Duos!