Christopher Nolan gehört zu dem kleinen Kreis an Regisseuren, die eine tiefe Liebe für das Medium Film empfinden und sie in einer Art und Weise zum Ausdruck bringen können, die die Massen ins Kino lockt. Mit „Dunkirk“ versucht der Brite, der sich mit verkopften und ambitionierten Blockbustern wie „Inception“ oder „Insterstellar“ einen Namen gemacht hat, etwas gänzlich Neues. Er erzählt uns die Geschichte der alliierten Soldaten, die am Strand von Dünkirchen eine schmetternde Niederlage erlitten und nun auf Evakuierung hoffen, während sich der Feind nähert.
In Nolan we trust
Als Cineast bleibt einem kaum Anderes übrig, als Christopher Nolan massiven Respekt zu zollen. Seinen Status als Schwergewicht der Filmbranche und Profitgarant nutzt er seit Jahren dafür, Film als analoges Medium vor dem Untergang zu beschützen. 2008 fing er mit „The Dark Knight“ an, Teile seiner Filme mit IMAX-Kameras zu drehen und sie Kinos gleichermaßen im analogen Format zur Verfügung zu stellen. „Dunkirk“ wurde überwiegend mit dieser extrem teuren und seltenen Methode umgesetzt. Mit Quentin Tarantino und Paul Thomas Anderson gibt es lediglich zwei weitere Regisseure, die ihre Geldgeber zu ähnlichen Stunts überreden können. Doch während Andersons Werke eher ein Nischenpublikum anziehen und Tarantino seine Filme in erster Linie als teure Masturbations-Variante zu verstehen scheint, ist Nolan stets darauf bedacht, seinem Publikum große und aufregende Kinostunden zu bescheren.
Leider war es mir nie möglich, für Nolans Filme so viel Respekt aufzubringen wie für sein unerschütterliches Cineastentum. Seine Filme erscheinen mir oftmals überladen mit verkopfter Exposition, die es dem Zuschauer etwas ZU einfach macht. Auch fällt es mit Ausnahme von „Interstellar“ schwer, emotionale Verbindungen zu seinen Figuren zu erzeugen. Dies waren einige der Gründe, wegen denen ich „Dunkirk“ durchaus skeptisch entgegen gesehen habe. Schließlich ist ein Kinoerlebnis nur halb so effektiv, wenn neben dem Kopf nicht auch das Herz angesprochen wird.
Besagte Schwachpunkte finden in „Dunkirk“ keinen Platz. Nolans kürzester Film seit seinem Debüt „Following“ ist ein nahezu perfekt getrimmtes Stück Film, das voller richtiger Entscheidungen steckt. Die offensichtliche und störende Exposition wird ersetzt durch eine kurze Texttafel zu Beginn des Films, die dem Zuschauer alles vermittelt, was er wissen muss. 400.000 Soldaten sind an der französischen Küste im wahrsten Sinne des Wortes gestrandet und harren unter akuter Todesangst einem Wunder. Nach kaum einer Minute steckt Nolan sein Publikum in die Schuhe der verängstigten Soldaten und begleitet das historische Ereignis aus dreierlei Blickpunkten. Fortan konzentriert er sich auf das, was er zweifelsohne beherrscht. Seine Zuschauer mit Hilfe von Bild und Ton bestmöglich in das Geschehen hineinzusaugen.
„Dunkirk“ ist nicht nur in seiner Laufzeit sehr ökonomisch, sondern auch in seinem Inhalt. Politische und moralische Aspekte des Krieges lässt er außen vor, er hält sich nicht mit dem „Wie?“ oder dem „Warum?“ auf. Obwohl er mit Cillian Murphy, Tom Hardy oder Mark Rylance durchaus bekannte Gesichter vor der Kamera hat, stellt er niemanden in das Rampenlicht und hebt keinen der Charaktere hervor. Eine großartige Entscheidung, schließlich erzählt er nicht von einem einzelnen Soldaten, sondern von Hunderttausenden. Ohnehin erreicht „Dunkirk“ mit einer Szene, in der unzählige Menschen gefangen in einem untergehenden Schiff einen langsamen Tod erleiden, auf einer emotionalen Ebene mehr als genug Schlagkraft. Sicherlich mehr, als man mit der Abbildung eines einzelnen Mannes und seiner Hintergrundgeschichte erreichen könnte.
In „Dunkirk“ erreicht die erzählerische Kompetenz von Chris Nolan endlich auch seine technische. Es ist der erste seiner Filme, der einen mit Leib und Seele mitreißt und sicher seine bisher beste Arbeit.
Dunkirk (2017)
Drama, Historienfilm
Regie: Christopher Nolan
Buch: Christopher Nolan
Darsteller: Mark Rylance, Tom Hardy, Cillian Murphy, Kenneth Branagh, Fionn Whitehead, James D’Arcy
Kinostart DE: 27.07.2017
Kinostart US: 21.07.2017
Heimkinostart DE: 19.12.2017
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