Am 6. Juni jährte sich mit dem D-Day ein militärischer Meilenstein, der vor allem in der westlichen Popkultur zu einem Symbol für den großen Umschwung geworden ist, der die entscheidende Wende im zweiten Weltkrieg brachte. Natürlich ist das nur die halbe Wahrheit, denn bei der endlosen Zahl an Fronten, an denen sich die Welt in den 40ern bekämpfte, scheint es unverschämt, ein einziges Ereignis als kriegsentscheidend herauszustellen (was die Amerikaner natürlich nicht davon abhielt).
Aber wir schreiben hier keinen Blog über Geschichte, sondern über Filme. Und im Kontext des zweiten Weltkrieges auf der Leinwand ist es beinahe unmöglich, Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“ (zu deutsch „Der Soldat James Ryan“) außen vor zu lassen. Der dreistündige Kriegsfilm von 1998 zählt zu den authentischsten und wahrheitsgetreusten Verfilmungen der amerikanischen Invasion in Frankreich. Jeder, der den Film gesehen hat, kann sich vor allem an die Anfangssequenz mehr als deutlich erinnern.
Die Landung am Strand der Normandie gilt bis heute als eine der kompromisslosesten Abbildungen des Kriegsgeschehens, und das mit Recht. Spielberg eröffnet seinen Film mit einer schmerzhaft langen Sequenz aus purem Chaos, Blut, Gewalt und Tod. Am 5. Juni fand im Berliner Zeughauskino eine Aufführung des Films im Rahmen der Filmreihe „Die Welt in Waffen statt“ und die einschlagende Wirkung dieser ersten Szene hat bis heute nicht nachgelassen. Ganz im Gegenteil.
Die chaotische Grundästhetik, die in den ersten 20 Minuten des Films etabliert wird, zieht sich stringent durch die restlichen zweieinhalb Stunden von „Saving Private Ryan“. Anders als am Anfang erreicht Spielberg dies im weiteren Verlauf allerdings nicht nur durch Kamera- und Schnittarbeit, sondern vor allem durch die erzählerische Struktur des Films. Hinter den feindlichen Linien müssen Captain Miller und seine kleine Mannschaft versuchen, den Soldaten James Ryan zu finden und sicher vom Schlachtfeld zu eskortieren. Immer wieder betont der Film dabei das Chaos, sei es durch überraschende Todesszenen oder den puren Zufall, der die Männer letzten Endes ans Ziel führt.
Doch all das ist nur die Form des Films und die Art und Weise, wie Spielberg den Krieg charakterisiert. Worum geht es in „Saving Private Ryan“ wirklich? Die Suche nach dem Thema des Films beginnt wie so oft bei der Hauptfigur. Die zentrale Figur des Films ist nicht der Titelcharakter James Ryan, auch wenn er der Grund für die eigentliche Handlung des Films ist. Es ist weder Tom Hanks‘ Captain Miller noch einer seiner Soldaten. Die Hauptfigur des Films ist der Übersetzer und Kartograf Corporal Timothy E. Upham.
Im Großteil seiner Szenen wird Upham nicht als Soldat charakterisiert, sondern als Zivilist. Er ist das einzige Mitglied der Gruppe, dessen Zweck im Krieg nicht das Kämpfen und Töten ist. Entsprechend wird er unter seinen Kameraden zum Außenseiter und zum Ziel von Spott und Hohn. In den wenigen Kampfsituationen, in die er verwickelt wird, erstarrt er gradezu vor Angst. Er scheint weder in dieser Gruppe von Soldaten noch im Krieg überhaupt einen Platz zu haben.
Auch ist er der einzige Charakter des Films, der moralische Bedenken anmeldet, als seine Kameraden einen deutschen Soldaten gefangen nehmen und ihn kurzerhand töten wollen. Diese Bedenken und seine lähmende Angst im Finale des Films sind es schließlich, die ihm den Tod eines Kameraden auf seine schwachen Schultern laden. In seiner letzten Szene wird die Entwicklung seines Charakters glasklar. Erneut steht er vor dem selben deutschen Soldaten. Dieses Mal führt die Konfrontation jedoch zum einzigen Schuss, den er abfeuert und zum unweigerlichen Verlust seiner Unschuld.
Plötzlich wird der Film, der Krieg als rücksichtslosen Fleischwolf und Tod als Kollateralschaden darstellt, auf einen einzelnen Mann reduziert. Einen Mann, der den blutigen Preis des Krieges zahlen muss und darunter vermutlich ein Leben lang leiden wird. Das ist der emotionale Kern von „Saving Private Ryan“ und das, was ihn zu einem der besten Kriegsfilme macht. Es geht nicht um die Schrecken des Nazi-Regimes oder den Kampf zwischen Gut und Böse. Es geht um die Grausamkeit eines Krieges, der unbescholtene Zivilisten aufs Schlachtfeld schickt und dabei nichts als Opfer hervorbringt.