Tim Russell (Brenton Thwaites) hat kein besonders schönes Leben gehabt. Nachdem er als Kind zu einer drastischen Aktion gezwungen wurde, verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens hinter Gittern. Nachdem er seinen ersten Schritt als freier Mann getan hat, lauert ihm seine Schwester Kaylie Russell (Karen Gillan) auf und überredet ihn, an einem heiklen Experiment teilzunehmen. Im Zentrum des Vorhabens steht ein antiker Spiegel, der bereits seit Jahren in Familienbesitz ist und auch in den verhängnisvollen Ereignissen, die Tim seinerzeit ins Gefängnis schickten, angeblich nicht ganz unbeteiligt war.
Während Kaylie die Tage bis zur Entlassung ihres Bruders gezählt hat, ging sie einem ganz besonderen Hobby nach. Sie grub sich durch Geschichtsbücher, alte Aufzeichnungen und sämtliche Bibliotheken des Planeten, um jeden Fetzen an Information über die angeblichen Kräfte des Spiegels herauszufinden. Jetzt ist sie mit allem Wissen der Welt bestens gerüstet und optimal vorbereitet, aber kann sie sich wirklich gegen eine uralte, paranormale Kraft behaupten? Die Kamera ist platziert, die Notfallmaßnahmen sind eingerichtet, Essen und Trinken ist ebenfalls da und die Geschwister Russell stellen sich dem Duell mit dem Übernatürlichen.
Konfrontationen mit dem Paranormalen hängen dem kollektiven Kinozuschauer natürlich schon seit Jahren aus dem Hals heraus. Seit die „Paranormal Activity“-Reihe langsam aber sicher ins qualitative Bankrott steuert (also seit Teil 2) gab es nur wenige Filme des abgesplitterten Horror-Subgenres, die ansatzweise interessant waren. „The Conjuring“ gehört dazu, „Insidious“ auch, mit zwei zugedrückten Augen vielleicht noch „Sinister“. Von den wenigen Höhepunkten abgesehen zählten die vermeintlichen Grusel“schocker“ viel zu sehr auf eine Endlosschleife von simplen Effekten, die kaum eindrucksvoller als ein Bettlaken mit zwei Löchern sind. Filme wie der von mir viel zu viel gescholtene „Mama“ mögen souverän gefilmt sein, aber leiden trotzdem an einer dreisten Ideenarmut und sind im Großen und Ganzen Nullrunden.
Aber genug davon, in diesem Text geht es schließlich um „Oculus“. Und dieser hat mit den besagten Kreativitätsgräbern nichts zu tun. Natürlich zieht die Story erstmal niemandem die Socken aus. Ein mysteriöser Spiegel kann die Wahrnehmung und Handlungen von Menschen manipulieren und zieht seit Jahrhunderten eine blutige Schneise durch die Welt. Eine Revolution ist das nicht gerade.
„Oculus“ holt aus seiner mageren Prämisse aber alles Mögliche heraus, und sogar noch ein Bisschen mehr. Zunächst sei die schauspielerische Leistung in Verbindung mit der respektablen Charaktertiefe erwähnt, zwei Merkmale, die in Horrorfilmen nicht übermäßig oft auftreten. Vor allem die beiden weiblichen Serien-Heldinnen Karen Gillan („Doctor Who“) und Katee Sackhoff (“ 24″, „Longmire“) verbeißen sich wundervoll in ihren Figuren.
Was den Film aber in die Nachbarschaft des „Gut“-Prädikates wirft, ist sein ausgeklügeltes Konzept, gemeinsam mit der gut aussehenden Kameraarbeit. Die Handlung des Films springt mit großer Eleganz zwischen zwei Zeitebenen hin und her, eine in der Gegenwart und eine in der Vergangenheit. Man merkt, dass die bisherige Hauptbeschäftigung von Regisseur Mike Flanagan im Schnittraum angesiedelt war. Seine Art und Weise, die Szenen fast ausschließlich im Schnittraum entstehen zu lassen ist heikel und birgt ein großes Gefahrenpotential, aber das lässt der Film sich zu keiner Sekunde anmerken. Stattdessen macht er sich den Schnitt zum Hauptwerkzeug, um die unbehagliche Stimmung zu erzeugen, die für dieses Genre so wichtig ist.
„Oculus“ ist tatsächlich nach langer Zeit eine frischer Beitrag im Genre des Paranormalen. Grund hierfür ist ein kompetenter und kreativer Regisseur, der sich in seinem Gespür für schicke Bilder und gruselige Momente als nicht zu unterschätzendes Talent herausstellt. Natürlich steuert die stets bezaubernde Schottin Karen Gillan auch einen erheblichen Teil zur hübschen Bildgestaltung bei.
7/10
Oculus
Horror
Regie: Mike Flanagan
Buch: Mike Flanagan, Jeff Howard (Drehbuch), Mike Flanagan, Jeff Seidman (Kurzfilmvorlage)
Darsteller: Karen Gillan, Brenton Thwaites, Katee Sackhoff, Rory Cochrane, Annalise Basso
Kinostart DE: ??.??.???? (deutschlandweite Screenings im August/September auf dem Fantasy Filmfest)
Kinostart US: 11.04.2014
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