Der „einzig wahre Berlinfilm“, wie er von Jörg Buttgereit getauft wurde, erfährt nach der Veröffentlichung auf DVD nun auch eine Auswertung in HD. Wir haben uns ein Exemplar der kürzlich veröffentlichten Blu-Ray angesehen und uns dem so eigenwilligen wie brillanten „Possession“ von Andrzej Żuławski erneut gestellt.
Zum Film
Wenn man über das Kino der 80er spricht, gehen die ersten Gedanken zur amerikanischen Action-Revolution und Titeln wie „Terminator“, „Rambo“, „Lethal Weapon“ und später auch „Die Hard“. Filme wie der erste „Evil Dead“ und ein Schwall an „Nightmare on Elm Street“-Kapiteln bevölkerten die selben Leinwände zur Geisterstunde und definierten den Mainstream des US-Horrorkinos. Auf der anderen Seite des Teiches, fernab jeglicher Konventionen und Regeln, stellte der polnische Regisseur und Exilant Andrzej Żuławski seine Kameras auf. Katalysator seines Werkes waren Ehekrise und Ausbürgerung aus dem geliebten Heimatland. Als Kulisse, vor der er seine beiden Hauptakteure Isabelle Adjani und Sam Neill durch ihren Spießrutenlauf schickte, diente das geteilte Berlin. Das Resultat, das den kryptischen Titel „Possession“ trägt, steht auch 30 Jahre später noch als einsames Denkmal für eine cineastische Mixtur aus Drama, Horror, Wahnsinn, entfesselter Symbolik und intellektueller Arthouse-Sensibilität.
Die Gespräche der beiden Männer markieren den ersten Wendepunkt in „Possession“ und die kleine Menge an Vernunft, die dem Film bis hierhin innewohnte, verflüchtigt sich. Während sich das Geschehen auf Bildschirm/Leinwand allmählich vom Ehedrama zu einem surrealistischen Potpourri aus albtraumhaften Szenen verwandelt, wird klar, womit man es hier zu tun hat. Żuławski hat ein seltenes Biest geboren. Einen Hybriden zwischen verstörender, wundervoll gefilmter Horrorästhetik und der feinsinnigen Komplexität eines Kunstfilms. Seine vielschichtige Story ist durchsetzt mit Analogien und Metaphern, von simpel (die Berliner Mauer als Sinnbild für die Entfremdung der Ehepartner), bis hin zu kompliziert (die zahlreichen religiösen Fußnoten). Gepfeffert wird dieses Grundgerüst mit schauspielerischen Leistungen, die ihr Publikum an den Rand der geistigen Gesundheit begleiten. Aufgehängt ist „Possession“ an der Darbietung von Isabelle Adjani, die sich in eine eigene Dimension spielt und dafür seinerzeit auf dem Filmfestival in Cannes ausgezeichnet wurde.
In jeder Hinsicht ist Żuławskis Stück ein extremer Film und einer, der vielmehr ein eigenes Genre definiert, anstatt in einer Schublade zu verschwinden. Eine Annäherung an den filmischen Strudel ist höchstens möglich, wenn man sich den Stil eines David Lynch ins Gedächtnis ruft. Cineastische Puzzleboxen wie „Lost Highway“ und „Mulholland Dr.“ nehmen wie „Possession“ eine Form aus losgelöstem Wahnsinn an, bloß um einen komplexen, bedeutungssschwangeren Unterbau zu kaschieren. Anders als David Lynch, der seine Inspiration aus den Tiefen seines Unterbewusstseins herausmeditiert, hatte Żuławski „nur“ eine tiefe Lebenskrise und das Gefühl des Verlassenwerdens als Anstoß. Dies sieht man „Possession“ deutlich an, in jedem wundervoll komponierten Bild, jeder irrwitzigen Sekunde, jedem gedankenschweren Dialog und jedem grenzgängigen Moment der Hauptdarsteller.
9/10
Zur Blu-Ray
Bevor „Possession“ Ende 2009 als deutsche DVD veröffentlicht wurde, existierte der Film hierzulande nicht. Genau wie die damalige DVD-Veröffentlichung wird auch das HD-Upgrade vom Kölner Label BILDSTÖRUNG durchgeführt. Die Ausstattung der Blu-Ray unterscheidet sich inhaltlich nicht von der SD-Variante. Folgendes Bonusmaterial ist auf beiden Medien vorhanden:
- Audiokommentar zum Film, gesprochen von Regisseur Andrzej Żuławski und Filmjournalist Daniel Bird
- „Die andere Seite der Mauer“ – Eine 50-minütige Dokumentation über die Entstehung des Films, enthält Interviews mit Filmemachern und Produzenten
- Bildergalerie
- 48 Seiten schweres Booklet mit Texten zum Film (mit Beiträgen von u.A. Andrzej Żuławski und Jörg Buttgereit)
Das Bonusmaterial ist komplett deutsch untertitelt.
Die technische Ausstattung des Films hat sich minimal verändert. Nach wie vor liegt der Ton des Films nur im englischen Original vor, im Vergleich zur DVD (Dolby Digital 2.0 Mono) in verlustfreiem LPCM 2.0 Mono. Kurioserweise identifizierte meine PS4 die englische Tonspur als deutsch, was allerdings keine Konsequenzen hatte. Der Zweikanalton ist dem 34 Jahre alten Film angemessen, bläst das Filmerlebnis nicht durch tonale Spielereien auf und gibt Stimmen, Musik und Geräuschkulisse klar wieder. Für Anglophobe hilft zusätzlich eine deutsche Untertitelspur, die von Bildstörung produziert wurde.
Natürlich ist das Bild der Angelpunkt der neu veröffentlichten Blu-Ray und der unschlagbare Vorteil gegenüber der DVD. Der HD-Transfer von „Possession“, abgebildet im originalen 1,66:1-Format lässt die bemerkenswerte Arbeit des Kameramanns Andrzej Jaroszewicz in einer neuen Schärfe erstrahlen und bleibt der groben, freudlosen Berliner Kulisse treu. Ganz ohne Fehler ist das Bild nicht, selten machen sich vertikale Schlieren im Bild bemerkbar, was den Gesamteindruck allerdings kaum trübt. Größtenteils frei von Verschmutzungen und unnötigen Korrekturen bietet die Blu-Ray von Bildstörung eine zufriedenstellende optische Präsentation des Klassikers.
Wie schon in 2009 erscheint die Blu-Ray von Possession in zwei Varianten, als limitierte (1000 Stück) Sonderedition und als günstigere Budget-Variante. Die oben genannten Bonusmaterialien findet man ausschließlich auf der Sonderedition, der kleinere Bruder beschränkt sich auf den Film. Die getestete Budget-Blu-Ray verfügt außerdem über ein willkommenes Wendecover, über das Sammler sich anhand des schönen Covermotivs freuen werden.
Possession (1981)
Horror, Thriller, Kopfbrecher
Regie: Andrzej Żuławski
Buch: Andrzej Żuławski & Frederic Tuten
Darsteller: Isabelle Adjani, Sam Neill, Heinz Bennent, Margit Carstensen, Johanna Hofer
Kinostart DE: –
Kinostart US: 28.10.1983
Blu-Ray-Start DE: 22.05.2015
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Die Rechte an den verwendeten Grafiken in diesem Artikel liegen bei BILDSTÖRUNG
Die Rechte an den Fotos der Blu-Ray liegen bei Timo Löhndorf