„Escobar – Paradise Lost“ nimmt einen der gefährlichsten und zwielichtigsten Menschen des letzten Jahrhunderts und zeigt uns, was bei seiner Nichte so los ist. Obwohl dem kolumbianischen Drogenbaron und Volkshelden die Show gestohlen wird, funktioniert Andrea di Stefanos Film sehr gut. Das liegt unter Anderem an seiner Struktur, die zwar nicht innovativ, in jedem Fall aber abwechslungsreich ist.
Drogen, Gewalt und die ganz ganz große Liebe
Noch heute wird Kolumbien die zweifelhafte Ehre zuteil, eines der gefährlichsten Pflaster der Welt zu sein. Der Grund hierfür spiegelt sich nicht nur gelegentlich in den Medien wider, sondern seit Jahrzehnten auch in der Popkultur. Als einer der Hotspots des internationalen Drogen-Highways ist Kolumbien ein äußerst instabiles Paradies, in dem sich der Sand des Öfteren rot färbt. Einen Höhepunkt erreichten Chaos und Gewalt in den 1980ern, als der ehrgeizige Pablo Escobar den Drogenthron bestieg und sich zum erfolgreichsten, einflussreichsten und schlicht reichsten Drogenhändler der Welt mauserte. Ein merkwürdiger Reiz geht von dem überaus brutalen und rücksichtslosen Kriminellen aus, der Zeit seines Lebens in vielen Regionen Kolumbiens als Volksheld und Sympathieträger gefeiert wurde.
Aber genug von der Geschichtsstunde. In „Escobar – Paradise Lost“ ist all das erstmal ganz weit weg. Die kanadischen Brüder Nick (Josh Hutcherson) und Dylan (Brady Corbet) sind mit dem Kopf bereits in den Wolken, als sie sich an einem kolumbianischen Strand niederlassen und dort ein neues Leben voller Chillen, Essen, Schwimmen und Kopulieren starten wollen. Wie so viele Pläne gerät auch dieser aus den Fugen, als Nick Maria (Claudia Traisac) über den Weg läuft und sich prompt in die hübsche Latina verguckt.
Wie sich schon bald herausstellt, ist Nick auf die Mutter aller Landminen getreten, denn Marias Onkel ist kein Geringerer als Pablo Escobar (Benicio del Toro). Tagsüber gefeierter Politiker und Babyküsser, nach Sonnenuntergang einer der grausamsten und skrupellosesten Menschen des Planeten. Allmählich wird zunächst Nick und dann seiner Gattin bewusst, in was für explosiven Kreisen sie sich herumtreiben und die Fassade aus Rum, Musik und Wollust beginnt zu bröckeln. Aber wie weit müssen sie laufen, um einem der gefährlichsten Männer der 80er zu entkommen?
Eigentlich ist der italienische Andrea di Stefano ein Schauspieler, sein Résumé glänzt mit Titeln wie „Eat Pray Love“ oder „Life of Pi“. Mit „Escobar – Paradise Lost“ unternimmt er einen Ausflug ins Regiefach, in dem er sich sehr wohl zu fühlen scheint. Sein Film balanciert auf der schmalen Linie zwischen herzlich-romantischer Liebesgeschichte und knallhartem Thriller, und das mit einer erstaunlichen Souveränität. Zur dramaturgischen Trickkiste gehört unter Anderem die Zweiteilung des Films. Nach einem kurzen Prolog in der Gegenwart springt „Escobar – Paradise Lost“ einige Jahre zurück und erzählt in mehreren Kapiteln, zwischen denen ebenfalls Zeitsprünge liegen, die Romanze zwischen Nick und Maria. Für die zweite Hälfte schaltet di Stefano einige Gänge hoch und begleitet die Turteltauben bei ihrem Fluchtversuch. Schwächen leistet der Film sich höchstens im Pacing der zweiten Hälfte, die sich etwas kürzer hätte fassen können.
In „Escobar – Paradise Lost“ geht es vorrangig um Gewalt. Über den Dingen schwebt Benicio del Toro als Pablo Escobar, der zunächst Autorität und Herzlichkeit, dann drohendes Unheil und schließlich entfesselte Brutalität ausstrahlt. Als Auge des Sturms geht von ihm eine Boshaftigkeit aus, die alles und jeden um ihn rum vergiftet und schließlich zum titelgebenden Verlust des Paradieses führt. Während sich im Vordergrund die Beziehung von Nick und Maria abspielt, bekommt man im Hintergrund den langsamen Zerfall von Escobars Imperium mit. So ist die instabile, gewalttätige Präsenz des Drogenbosses auch zu spüren, wenn er gar nicht auf der Leinwand ist.
Andrea di Stefano liefert mit „Escobar – Paradise Lost“ ein beeindruckendes Debüt als Filmemacher ab. In der Idylle Südamerikas erzählt er die Geschichte zweier Liebenden, die der Gewalt des Kartells entkommen wollen, gepfeffert mit einer großen Prise Realität. Die nötige Portion Grobheit, ein Auge für schöne Bilder und ein steiler Spannungsbogen machen seinen ersten Langfilm zu einem Thriller, der die Adjektive „hochspannend“ und „packend“ tatsächlich verdient.
8/10
Escobar – Paradise Lost
Thriller, Drama
Regie: Andrea di Stefano
Buch: Andrea di Stefano, Francesca Marciano
Darsteller: Benicio del Toro, Josh Hutcherson, Brady Corbet, Claudia Traisac, Carlos Bardem
Kinostart DE: 09.07.2015
Kinostart US: 26.06.2015
Heimkinostart DE: –
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