Deutsche Fiction hat nicht gerade den besten Ruf, weder national noch global. Regisseurin Aelrun Goette macht es sich mit dem schwermütigen Drama „Im Zweifel“ zur Aufgabe, diesen Missstand zu berichtigen. Mit einem punktgenauen Drehbuch und einer fantastischen Hauptdarstellerin reicht sie einen außerordentlich guten deutschen Beitrag in das Münchner Filmfest ein.
Es kam als ein leichter Schock, als ich im Abspann darauf aufmerksam gemacht wurde, dass es sich bei „In Zweifel“ nicht um einen Kinofilm handelt, sondern um einen Fernsehfilm. Den Tiefgang und die inszenatorische wie technische Kompetenz, die das Drama bietet, erwartet man hierzulande nicht einmal von Kinoproduktionen.
Judith Ehrmann (Claudia Michelsen) geht in ihrer Arbeit auf, obwohl es einer der wohl stressvollsten Jobs der Welt ist. Als Notfall-Seelsorgerin leistet sie spontanen Beistand für die, die es am meisten brauchen. Sie mutet wie ein Engel an, jedoch nicht durch ihren religiösen Hintergrund, sondern durch eine schier unendliche Menge an Empathie, Ruhe und Herzlichkeit. In einer besonders schweren Stunde muss sie einer Familie die Nachricht überbringen, dass die junge Tochter bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Die emotionale Krise, die vom Todesfall ausgeht, beschränkt sich nicht auf die trauernde Familie und den geistlichen Beistand, sondern auch auf die Familie der Pfarrerin. Die genauen Umstände des Unfalls bleiben zunächst ungeklärt. Klar ist allerdings, dass sie bis zum Familienhaus der Ehrmanns reichen.
Deutsche Spielfilme genießen ihren durchwachsenen Ruf nicht ohne Grund. Oft kranken sie an einer müden Umsetzung, einem vorhersehbaren Drehbuch, einem Mangel an interessanten Themen und nicht zuletzt farbloser, langweiliger Bildgestaltung. In „Im Zweifel“ ist von keiner dieser Krankheiten etwas zu erahnen. Aelrun Goette konstruiert trotz der überschaubaren Figurenkonstellation einen vielschichtigen Film, der neben religiösen Grundthematiken wie Lüge, Wahrheit und Vergebung auch das Leben einer Frau im mittleren Alter schildert, die trotz ihrer warmen Persönlichkeit den Anschluss an ihre Familie verliert. All das wird verpackt in einem Film, der professionell und durchdacht anmutet, und das nicht nur im Drehbuch. Kamerafrau Leah Striker fängt Zerwürfnis und Leid der Figuren in sensiblen Bildern ein, die, ungewöhnlich für eine deutsche Produktion, sogar ausgeleuchtet sind.
Zusammengehalten wird das Konstrukt von Claudia Michelsen, die als Judith Ehrmann eine starke, souveräne Figur spielt, an der von mehreren Seiten gezerrt wird. Die theologischen Ansätze, die der Film anreißt, beschränken sich durch die gutmütige Natur der Protagonistin nicht bloß auf formelhafte, religiöse Ideen, sondern reichen bis zu wichtigen Grundthemen des menschlichen Zusammenlebens, die Aelrun Goette in ihrem Film untersucht.
Einer der besten, stilsichersten und interessantesten Filme, die in letzter Zeit aus der gebeutelten deutschen Filmnation hervorgegangen sind.
8,5/10