Ziemlich genau fünf Monate ist es her, seit Julianne Moore ihren Karrierehöhepunkt mit dem Oscar für die beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle in „Still Alice“ feiern konnte. In einem Film über Verlust spielt sie eine Frau, die schon sehr früh an Alzheimer erkrankt und deren Leben sich vollkommen verändert.
Verfall
In Alice Howlands (Julianne Moore) Leben scheint eigentlich alles mehr oder weniger perfekt zu sein. Sie ist eine 50-jährige Professorin für Linguistik an der Columbia University in New York und eine sehr respektierte und renommierte Persönlichkeit in diesem Bereich. Darüber hinaus kann sich Alice glücklich schätzen, mit ihrem liebevollen Ehemann John (Alec Baldwin) drei tolle Kinder zu haben, die alle irgendwie im Leben stehen. Höchstens ihre Jüngste, Lydia (Kristen Stewart), macht ihr etwas sorgen, da sie sich – anstatt einen Karrierezweig zu suchen – für das Schauspiel entschieden hat und dementsprechend ihre Probleme hat.
Doch irgendwie merkt sie, dass etwas nicht mit ihr stimmt. Ständig vergisst Alice kleinere Sachen wie Worte, Namen oder Orte. Deswegen sucht sie einen Neurologen auf, der sie auf Herz und Nieren – oder besser gesagt ihr Hirn – durchcheckt. Das Resultat ist so ernüchternd wie niederschmetternd: Familiäres Alzheimer. Das bedeutet zum einen, dass sich die hochintelligente Linguistik-Experten, die sich immer über ihren Intellekt identifizieren mochte, schon bald so gut wie alles vergessen wird. Ihren Namen, ihren Geburtstag, wo sie wohnt, selbst ihren Ehemann und ihre geliebten Kinder. Viel schlimmer ist jedoch die Tatsache, dass ihre drei Sprösslinge mit einer 50/50-Chancen die selbe Krankheit haben.
Was folgt ist eine dramatische Studie der Alzheimer-Krankheit, von anfänglichen Symptomen bis hin zu dem Zeitpunkt, an dem es wirklich schon schlimm ist.
Traurig, melancholisch, unerbittlich
Wie die Krankheit selbst ist „Still Alice“ verhältnismäßig kurzweilig, jedoch umso ernüchternder. Bis zum Zeitpunkt der endlichen Diagnose vergeht schon ein Weilchen, in der die Unsicherheit und progressive Panik der Hauptdarstellerin Julianne Moore zum Ausdruck kommt. Danach wirkt der Film extrem darauf bedacht zu sein, den Verlauf der Alzheimer-Krankheit so gut wie möglich im Kontext eines Dramas abzubilden.
Dabei kann man deutlich erkennen, dass mit der Krankheit nicht nur Gedächtnisverlust einhergeht, sondern viel mehr ein Verfall der eigenen Persönlichkeit, des eigenen Seins. Und genau das macht Alzheimer so schlimm, so unerbittlich. Jeder, der schon einmal den Verfall einer geliebten Person durchmachen musste, sei es aufgrund von Alzheimer, Krebs oder einer anderen Krankheit, kann sich in diesen Film vollends einfühlen.
Auch deswegen hat „Still Alice“ den Anstrich eines Melodramas bis hin zur Tragödie, obwohl hier und da wirklich schöne und rührende Momente mit mehr oder weniger lustigen Szenen vermischt wurden. Dabei steht meist immer Julianne Moore als titelgebender Charakter im Fokus. Doch auch ihre Kinder, allen voran Kristen Stewart, und ihr Mann spielen einen wichtigen Part innerhalb der Handlung. Gerade die Beziehung zwischen Lydia und ihrer Mutter hat einige eindrucksvolle Aspekte zu bieten.
Kate Bosworth, die Alice‘ älteste Tochter Anne darstellt, dient dabei mit ihrem geerdeten Lebensstil als eine Art Gegenthese zu ihrer jüngeren Schwester Lydia. So kommt es zwischen diesen beiden auch immer wieder zu interessanten und nachvollziehbaren Auseinandersetzungen, die aber selten grenzüberschreitend werden. Sehr gefallen hat mir auch der charismatische Alec Baldwin, der während des Films erkennbar die 5 Phasen des Sterbens nach dem Modell von Elisabeth Kübler-Ross durchmacht.
Im technischen Sinne hat „Still Alice“ meiner Meinung nach ebenso etwas zu bieten. Gerade die Kameraarbeit und die vielen Fokuswechsel (bildtechnisch gesprochen) wirken über den gesamten Film hinweg stimmig und sogar förderlich. Die vielen langen Einstellungen und die, im Vergleich zu manch anderen Filmen, wenigen Schnitte bei einer Laufzeit von knapp 100 Minuten geben dem Zuschauer Zeit, die Dramatik des Geschehens in vollem Umfang aufzunehmen und zu verarbeiten.
Unterstrichen mit einem melancholischen Score, welcher sporadisch sowie im Wechsel aus Streichern und Klavierspiel eingesetzt wird, fördert größtenteils die Emotionalität des Films selbst. Hin und wieder wirkt die Musik jedoch ein Wenig repetitiv, doch im Hinblick auf das Thema des Dramas macht das schon wieder Sinn.
Und so verdient. oder Das Beste kommt zum Schluss.
Zu guter Letzt möchte ich mich noch der Leistung von Julianne Moore widmen. Diese hat in diesem Jahr sowohl den Golden Globe als auch den Academy Award (Oscar) für die beste Hauptdarstellerin einheimsen können. Wer sich jetzt fragt, ob das auch gerechtfertigt ist, sollte den Film erstmal schauen und sich sein eigenes Bild machen. Aus meiner Sicht hat sie diese Ehren jedoch ohne Zweifel und mit gebührendem Respekt verdient.
Selbst als großer Fan von Rosamund Pike, die eine wirklich tolle Sozio-/Psychopathin in „Gone Girl“ hingelegt hat und die ich vor der Sichtung von „Still Alice“ auch den Oscar gewünscht hätte, würde ich im direkten Vergleich nicht den Vorrang lassen. Das soll übrigens nicht heißen, dass ich kein Fan von Julianne Moore bin, ganz im Gegenteil. Sie ist ohne Frage eine ausgezeichnete Schauspielerin, für die diese Auszeichnung längst überfällig war.
Der eine oder andere mag auch behaupten, dass es sich bei ihrer Rolle um sogenanntes Oscar-Bait handelt. Wahrscheinlich ist das auch so, aber man muss wohl lange und breit suchen, um eine vergleichbare Performance zu finden.
Unterm Strich ist „Still Alice“ ein extrem trauriges Drama, welches mit schönen Momenten gespickt ist. Die Leistungen der Darsteller und Darstellerinnen, allen voran Julianne Moore, sind gut bis herausragend. Wer sich nach einem wahrlich gefühlvollen Film mit tollen Charaktermomenten und tollen Einstellungen sehnt, der sollte sich „Still Alice“ unbedingt anschauen… am besten mit ein oder zwei Taschentüchern in Greifweite.
8/10
Da ich „Still Alice“ zu meiner Schande nicht im Kino erleben konnte, habe ich mir von Polyband ein Blu-Ray-Rezensionsexemplar organisiert. Ob diese auch mit dem Film selbst mithalten kann, erfahrt ihr hier. Ab dem 31. Juli 2015 kommt „Still Alice“ für die Heimkinos in den Handel.
Das Bild:
Das Bild schmeichelt dem Film mit 1080p Full-HD, 24Hz und einem Bildverhältnis von 1,85:1. In diesem Bereich bleiben keine Wünsche offen, da wirkt alles vollkommen stimmig.
Der Ton:
Die Blu-Ray verfügt über zwei exzellent abgemischte Tonspuren im DTS-HD 5.1-Surround-Sound, einmal mit der deutschen Synchronisation sowie in der englischen Originalfassung. Darüber hinaus gibt es auch eine deutsche Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte, welche in Zusammenarbeit mit der Stiftung Mensch und Tier entstanden ist. Zudem sind sowohl eine reguläre deutsche Untertitelspur als auch eine Version für Hörgeschädigte auf der Disk vorhanden.
Die Extras:
Unter den Extras findet man zunächst einmal B-Roll-Material, die einen kleinen Einblick hinter die Kulissen oder vielmehr in die Chemie zwischen den Darstellern und der Crew bietet. Darüber hinaus bietet die Blu-Ray Interviews mit Julianne Moore, Alec Baldwin, Kristen Stewart und den beiden Regisseuren bzw. Schreibern Wash Westmoreland und Richard Glatzer. Letzterer ist an der zuletzt im Fokus stehenden Nervenkrankheit ALS erkrankt und deshalb ähnlich wie Stephen Hawking auf seinen Rollstuhl und einen Sprachcomputer angewiesen. Schließlich gibt es noch eine Trailershow, die einen schon zum Teil beim Starten der Disk begrüßt.
Das Fazit:
Die Blu-Ray ist schon aufgrund der Qualität des Films sicherlich eine Anschaffung wert. Im den Bereichen Bild und Ton wurde mit viel Sorgfalt gearbeitet und sogar eine eher seltene Hörfilmfassung angefertigt. Einzig bei den Extras hätte es gerne ein Wenig mehr sein können, obwohl die vorhandenen Special Features auch schon relativ interessant sind. Ein längeres Making-Of oder eine Featurette zum Thema Alzheimer hätten dem Gesamtpaket allerdings noch eine Krone aufgesetzt. Nichtsdestotrotz kann ich den Kauf der Blu-Ray wärmstens empfehlen.
Still Alice (2014)
Still Alice – Mein Leben ohne Gestern
Drama, Alzheimer-Studie
Regie: Richard Glatzer, Wash Westmoreland
Buch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland, Lisa Genova (Buchvorlage)
Darsteller: Julianne Moore, Kristen Stewart, Alec Baldwin, Kate Bosworth
Kinostart DE: 05.03.2015
Kinostart US: 20.02.2015
Heimkinostart DE: 31.07.2015
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