Wenn es darum geht, amouröse Geplänkel auf die Leinwand zu bringen, gehören die Franzosen zu den weltweiten Meistern. Nirgendwo sonst erfahren verwinkelte Liebesgeschichten eine Umsetzung, die so voll mit Komödie, Tragödie und Drama ist. Auch im neuesten Export „Der Vater meiner besten Freundin“ („Un moment d’égarement“) wird dies unter Beweis gestellt. Die heikle Geschichte, die sich zwischen zwei Vätern und ihren jungen Töchtern während eines Urlaubs auf Korsika entwickelt, trifft eine Unmenge an Noten perfekt und gehört zu den Highlights des Kinoherbstes.
Erhöhter Alkoholpegel + Wilder Hormon-Cocktail = ?
Zwischen Antoine (François Cluzet) und seiner Frau kriselt es gewaltig. Etwas Klarheit soll ein Ausflug zum familiären Anwesen auf Korsika bringen, also werden die Tochter Louna (Lola Le Lann), der beste Freund Laurent (Vincent Cassel) und dessen Tochter Marie (Alice Isaaz) kurzerhand eingepackt und in die malerische Schönheit der korsischen Insel entführt. Doch der Ärger, dem Antoine zu entfliehen versucht, reist als ungebetener Gast mit und nimmt mit Louna die Form einer verwirrten, emotional überforderten und hormongeladenen Teenagerin an. Zusammen mit dem coolen und anziehenden Laurent ergibt dies das perfekte Rezept für einen äußerst unentspannten Urlaub.
Von der ausgeprägten Leichtigkeit des französischen Gespürs für abseitige Romanzen können sich andere Länder mehr als nur eine Scheibe abschneiden. Vor der traumhaften Kulisse von Korsika und dem rustikalen, charmanten Anwesen von Laurents Familie entfacht sich zunächst das typisch-amüsante Drama, das man zwischen zwei Vätern mittleren Alters und deren unsagbar attraktiven, abenteuerlustigen Töchtern erwarten kann. Komplett mit Ausgangssperren, Alkoholkonsum, Grenzüberschreitungen und natürlich dem heimlichen Umziehen und Hochschminken im Taxi auf dem Weg zur nächsten Party. Ehe die Charaktere und die Zuschauer sich versehen, betreten hochdramatische Elemente und heikle Geheimnisse die amüsante Story und es steht mehr als nur eine Freundschaft auf dem Spiel.
Der Film von Jean-François Richet basiert auf einem gleichnamigen Titel von 1977 und wurde von dem Regisseur neu aufgelegt, Hilfe mit dem Drehbuch bekam er von der ebenfalls französischen Regisseurin Lisa Azuelos, die mit „Ein Augenblick Liebe“ zuletzt eine ebenfalls sehr genießbare und charmante Romanze auf die Leinwände brachte. In „Der Vater meiner besten Freundin“ wartet eine ähnlich makellose Chemie, die die Szenen des Quartetts dominiert und als Motor des Films funktioniert. Im Gegensatz zu „Ein Augenblick Liebe“ wurden hier allerdings noch ein paar Kohlen draufgelegt und die gut aufgelegten Darsteller der oberen französischen Riege haben ein wirklich ausgezeichnetes Drehbuch, mit dem sie arbeiten können. Der Humor, der die Szenen bis kurz vors Ende durchsetzt, entwickelt sich dabei löblicherweise nicht aus profanen oder sexuell motivierten Dialogen, sondern aus einem unwiderstehlich charmanten Spiel der vier Akteure.
Was den Film in den Bereich „Sehr Gut“ katapultiert, ist die große Mühe und Rücksicht, die Azuelos und Richet in die Neuauflage des Drehbuches investiert haben. Sämtliche Konflikte und Aktionen, vor allem die der bildschönen (und leicht beängstigenden) Louna, ergeben sich aus den Charakteren und ihren Lebenssituationen und sind, wenn auch teils extrem, stets nachvollziehbar. So wird aus dem beziehungsgestressten Antoine ein von Zorn geblendeter Wirbelwind, der den Liebhaber seiner Tochter jagt. Von dem lässigen und „coolen“ Vater Laurent bleibt im Verlauf der Geschichte kaum mehr als ein feiger, angstvoller Mann über, dem der nötige Schneid zur Aufrichtigkeit fehlt.
Dies sind die Hauptzutaten, die französische Liebesfilme über die ihrer Nachbarn siegen lassen. Ein aufgeschlossener, schamloser Umgang mit Sex, Liebe, egal ob sie aus natürlicher Chemie, einem benebelten Geist oder krankhafter Zuneigung entstehen. Die Möglichkeit, zu jedem Charakter eine emotionale Verbindung aufzubauen, egal wie stark oder schwach sie in einer Szene sein mögen. Und natürlich das höchst genießbare Spiel von Cluzet, Cassel, Le Lann und Isaaz. Dieser Mix aus hoher Qualität in sämtlichen Bereichen des Filmschaffens lässt Filme wie „Der Vater meiner besten Freundin“ wie einen Kurzurlaub wirken, während sie alltägliche Themen auf eine sensible, zugängliche und vor allem humorvolle Art und Weise aufarbeiten.
Chapeau!
9/10
Un moment d’égarement (2015)
Der Vater meiner besten Freundin
Komödie, Drama, Romanze
Regie: Jean-François Richet
Buch: Jean-François Richet, Lisa Azuelos
Darsteller: Francois Cluzet, Vincent Cassel, Alice Isaaz, Lola Le Lann
Kinostart DE: 24.09.2015
Kinostart US: –
Heimkinostart DE: –
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