David Foster Wallaces Mammutwerk „Infinite Jest“ ist nicht universell mit positiven Kritiken bedacht worden, die Position des Autos im Olymp der amerikanischen Schriftsteller ist trotzdem gesichert. In „The End of the Tour“ bekommt der Zuschauer einen Einblick ins faszinierende Seelenleben von Wallace, der sich im Jahr 2008 umbrachte. Durch die Augen des Rolling-Stone-Journalisten und Hobby-Schriftstellers David Lipsky werden die fünf Tage geschildert, die die beiden Davids, verkörpert von Jason Segel und Jesse Eisenberg, im Zuge einer PR-Tour miteinander verbracht haben.
Die Bürde des Beobachters
Es gibt wohl kaum Personen, deren Innenleben so interessant ist, wie die großen Schriftsteller. Diesem Innenleben, speziell dem von David Foster Wallace, versucht „The End of the Tour“ sich anzunähern. Die Handlung der intensiven Charakterstudie ist nicht komplizierter, als sie sein muss. Der junge Journalist und Literaturfreund David Lipsky (Jesse Eisenberg) ist nach der Lektüre von „Infinite Jest“ hin und weg. Er pitcht seinem Chef die Idee, den öffentlichkeitsscheuen Schriftsteller auf dem letzten Stop seiner PR-Tour zu begleiten und aus dem Erlebnis eine faszinierende Story zu schnitzen. Erwartungsgemäß ist die Chemie zwischen dem Autor, verkörpert von Jason Segel, und seinem Fan sofort da. Die beiden essen miteinander, teilen tiefgründige philosophische Konversationen und zeigen sich sichtlich komfortabel mit der aufkeimenden Freundschaft. Natürlich machen sich nach einer Weile die ersten Ausfallerscheinungen bemerkbar, die die Zeit mit einem so speziellen Charakter wie David Foster Wallace, mit sich bringt. Journalisten-David muss sich früher oder später damit auseinandersetzen, wie fundiert die Bewunderung für sein Idol wirklich ist.
Ohne dass ich mich vorher eingehend mit Wallace beschäftigt oder sogar „Infinite Jest“ gelesen habe, lehne ich mich vermutlich etwas aus dem Fenster wenn ich sage, dass die Charakterstudie beinahe perfekt getroffen wurde. Persönlichkeiten wie Wallace sind rar. Sie sind Beobachter, Denker und Grübler, die sich stets um ihren in der Welt Gedanken machen. Jason Segels Interpretation der Figur kommt als stark introvertierter Charakter daher, der im Kontakt mit seinen Mitmenschen nur schwer funktionieren kann. Grund hierfür ist sein grundlegendes Verständnis für die Mechanismen der Ein- und Zweisamkeit. Und somit auch die konstante Sorge, eine Belastung für seine Umwelt zu sein.
Der Mensch, der nur mit zwei Hunden lebt, eine Allergie gegen Komplimente entwickelt hat und sich lieber mit sich selber beschäftigt ist ein (leider nicht mehr) lebendiges Testament für die fundamentalen Probleme, mit denen ein Geist zu kämpfen hat, der mit einem Überschuss an Empathie und sozialer Intelligenz „gesegnet“ wurde. Während Segels Wallace als Beispiel einer solchen Persönlichkeit fungiert, wird die Figur des David Lipsky in „The End of the Tour“ benutzt, um die entsprechenden zwischenmenschlichen Probleme zu beleuchten. Der anfänglich bezauberte Journalist, der die Zeit mit seinem Vorbild sichtlich genießt, wird schon bald vor große Prüfungen gestellt. Dabei ist es bezeichnend, dass die Konflikte der beiden Figuren aus der selben Quelle stammen wie ihr gegenseitiger Respekt.
Jesse Eisenberg, der jüngst durch Filme wie „Louder than Bombs“ oder „The Social Network“ den Status eines gefragten und fähigen Schauspielers erlangte, wird von seinem Kollegen Jason Segel hier gnadenlos an die Wand gespielt. Kein Wunder, denn Segels Auftritte in weniger spaßigen Interviews zeugen ganz klar von einer Persönlichkeit, die mit den tragischen und komischen Aspekten des Lebens gleichermaßen in Kontakt steht. Als David Foster Wallace kann er sich diese Eigenschaft zunutze machen und spielt die charismatische, verwundbare und hochinteressante Figur exzellent. „The End of the Tour“ ist eine gelungene Charakterstudie, die auf unnötige Elemente verzichtet und mit einem verständnis- wie respektvollen Umgang der Figur David Foster Wallace vollends überzeugt.
8,5/10
The End of the Tour (2015)
(leicht amüsantes) Drama, Charakterstudie
Regie: James Ponsoldt
Buch: David Lipsky (Buch), Donald Margulies (Drehbuch)
Darsteller: Jason Segel, Jesse Eisenberg, Ron Livingston, Anna Chlumsky, Joan Cusack
Kinostart DE: –
Kinostart US: 31.07.2015
Heimkinostart DE: –
–
Die Rechte an allen verwendeten Grafiken in diesem Artikel liegen bei Sony Pictures