Was muss ein deutscher Film tun, um weltweit Lob und Preise einzufahren? Mancher stützt sich auf waghalsige Gimmicks, die die Produktion des Films unsagbar verkomplizieren. Andere beschränken sich auf die kulturelle Verarbeitung des NS-Erbes, was natürlich immer willkommen ist. Und dann gibt es noch „Der Bunker“, den ersten Langfilm des Filmemachers Nikias Chryssos. Hier finden politische oder technische Tricks keine Anwendung und man beschränkt sich auf die Tugenden, die seit jeher einen guten Film ausmachen: Vier Wände, eine Handvoll talentierte Akteure und eine Wundertüte von Drehbuch, das mit jedem verstrichenen Moment an Tiefe gewinnt.
Der Bunker ist nicht mehr das, was er mal war
Hinter der Tür des Bunkers inmitten eines verschneiten Nirgendwo wartet zunächst ein halbwegs gewöhnliches Kabinett aus Kuriositäten auf den studentischen Untermieter. Sein Zimmer: Ein fensterloses Loch ohne Fluchtweg. Seine Gastgeber: Ein „exzentrisches“ Ehepaar, deren Verhalten nicht ganz von diesem Planeten zu sein scheint. Immerhin genießt der namenlose Herr Student hier die Ruhe und Abgeschiedenheit, die er für seine wissenschaftliche Arbeit braucht. Auch das ändert sich, sobald Student auf den Sohn des Paares trifft. Ein 8-jähriger, blonder Junge mit Pisspott-Haarschnitt, bei dem es sich obendrein ganz klar um einen erwachsenen Mann handelt. Auf „Bitten“ der herrischen Mutter nimmt der Student Klaus unter seine Fittiche und versucht, ihn zu unterrichten.
Wer sich im Vorfeld mit der Handlung des Films vertraut gemacht hat und im aktuellen Weltkino versiert ist, wird unweigerlich an Yorgos Lanthimos‘ „Dogtooth“ denken. Mit Recht, denn in beiden Filmen geht es um Eltern, die ihre Kinder hinter den hohen Mauern von Paranoia und Isolation aufziehen. Hier hören die Parallelen zwischen Greek und German Weirdness allerdings schon auf. Wo Lanthimos die Klaustrophobie seines Settings für depressive und bedrückende Stimmung nutzt, holt Chryssos absurden Humor heraus, wo er kann. Das Resultat ist ein Film, der sein Publikum zunächst mit morbider Neugier anlockt, bevor er es mit großen Ideen überfällt.
A propos, große Ideen. Hierin liegt auch das Zaubermittel, das „Der Bunker“ zwischen vielen anderen deutschen Werken herausragen lässt. Im Bunker der zwielichtigen Familie versteckt sich erwartungsgemäß etwas sehr Beunruhigendes. Und das ist nicht etwa ein physikalisches Paradox, ein misslungenes Gen-Experiment oder ein schräges Paralleluniversum. Was als das Mysterium einer grotesken Familie beginnt, entwickelt sich am Ende zu einem cleveren Stück Film, das gerade genug Fragen offen lässt, um seine Zuschauer über Themen wie Ambitionen, Erwartungen und Selbstverwirklichung nachdenken zu lassen.
Wie die meisten guten Filme, die unter strammem Budget entstanden sind, zeichnet sich auch „Der Bunker“ aus der Arbeit von talentierten Filmschaffenden zusammen, die ihr Handwerk verstehen. Das beginnt hinter der Kamera, zum Beispiel mit dem detailreichen Szenenbild, das zusätzliche Indizien auf die Beschaffenheiten im Bunker und die Intentionen des Films gibt. Vor der Kamera betört vor allem Oona von Maydell, die als enigmatische Mutter stets auf der Linie zwischen beängstigend, entzückend und reizvoll balanciert.
9/10
Gesehen in Konstanz auf dem 1. SHIVERS-Festival
Der Bunker (2015)
Drama(?)
Regie: Nikias Chryssos
Buch: Nikias Chryssos
Darsteller: Pit Bukowski, Oona von Maydell, Daniel Fripan, David Scheller
Kinostart DE: 2016
Kinostart US: –
Heimkinostart DE: –
–
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