Man könnte fast meinen, dass sich das Horror-Genre nach der endlich versiegten Torture-Porn-Welle wieder erholt hat. „It Follows“ brachte die immerzu lauernde Gefahr zurück. „The Babadook“ verknüpfte weltlichen mit psychischem Horror. Doch viele der populären Grusler der letzten Jahre kommen erstaunlich blutleer daher. Dieser Fehler wird mit „Baskin“ korrigiert. Und wie. Verantwortlich zeichnet die Filmnation Türkei, die für vieles bekannt ist, für losgelöstes, garstiges Horrorkino jedoch nicht. Der Film, der auf dem SHIVERS-Festival seine (inoffizielle) Deutschlandpremiere feierte, lässt sich dadurch allerdings keineswegs beirren.
Per Aspera Ad Inferi
Dass Regisseur Can Evrenol es nicht bloß auf ein stylisches Blutbad abgesehen hat, beweist der verhältnismäßig seichte Beginn von „Baskin“. Ohne große Eile stellt er uns ein Quintett aus Polizisten vor, die am Anfang einer Nachtschicht stehen. Nur stellenweise weisen ominöse Musik, rätselhafte Frosch-Sichtungen und das besonders genüssliche Zerschneiden eines Stückes Fleisch darauf hin, dass die Arbeitsnacht der Cops nicht ganz so ruhig wird, wie erhofft. Was einem ebenfalls sofort ins Auge sticht ist die handwerkliche Kompetenz, mit der der Film entstanden ist. Eine farbenfrohe, expressive Beleuchtung schmeichelt dem Auge mehr, als man es vom Horrordebüt eines Landes erwartet hätte.
Mit Gemach bewegt sich der Film auf die Krux zu. Ein Kollege braucht Verstärkung. Die Furchtlosen Fünf machen sich auf den Weg und stehen wenig später vor einem verlassenen Gebäude, das ehemals als Polizeirevier fungierte. Heute würde man keinen Hund mehr reinschicken wollen, vor allem nicht nachts. Die Rufe von Pflicht und Kollegialität sind stärker und es geht mit Taschenlampen und Feuerwaffen ausgerüstet in die Eingeweide der Ruine. Was die Fünf dort vorfinden ist nichts Geringeres als die Hölle.
Gegliedert wird der Trip durchs Inferno in zwei Teile: Begonnen wird mit der Erkundung des Kellergeschosses, das Raum über Raum voll mit schrecklichen Visionen zu bieten hat. Hier erinnert „Baskin“ an Filme wie der erste „Rec“, was durchaus ein Kompliment ist. Dies ist auch das Segment des Films, in dem am meisten Spannung aufkommt. Leider ist es etwas kurz. Ein längerer Abstieg in die sprichwörtliche und buchstäbliche Hölle aus Wahnsinn und Gewalt hätte dem Film sicher noch einen zusätzlichen Kick verliehen. Angekommen im Herz der Finsternis muss die Truppe (oder was von ihr übrig ist) sich einem grotesken Kabinett aus Perversionen stellen, das natürlich nicht in Gänze verraten wird. Hier schaltet Evrenol einen Gang zurück und setzt auf Kostüm, Maske, Szenenbild und einen sehr unbehaglichen Charakter, der die Bühne betritt. All das fügt sich zu einem infernalen Potpourri zusammen, das die ganz Hartgesottenen viellecht nicht in Schwindelanfälle jagen wird, aber genug „weird shit“ zeigt, um den Film im Gedächtnis kleben zu lassen.
Neben dem Martyrium der Cops öffnet Can Evrenol noch ein zweites Fass, in dem er in die Jugend von einem der Wachtmeister eintaucht. Man fühlt, dass beide Stränge miteinander in Verbindung stehen und dass der Subplot dazu dienen soll, den Höllenritt der Charaktere zu erklären. Leider bleibt diese Verbindung etwas zu schwammig. Schließlich bleibt es unklar, was Evrenol mit der Zweithandlung und dem Wegschneiden in Traumwelten bezwecken will.
Mehr Transparenz im Drehbuch hätte den ungewöhnlichen Film neben einem potentiellen Kultklassiker zu einem wirklich ausgezeichneten Horrorthriller gemacht. So bleibt ihm immerhin der Status als stilsicherer Einstand des Werbefilmers Can Evrenol und geradezu perfektes Midnight-Movie. Ohne Nonsens, ohne Witz und ohne Gnade ist „Baskin“ ein respektabler Horrorfilm, der den türkischen Genrefilm aus dem Nichts auf die Weltbühne katapultiert.
7/10
Gesehen in Konstanz auf dem 1. SHIVERS-Festival
Baskin (2015)
Horror
Regie: Can Evrenol
Buch: Can Evrenol, Ogulcan Eren Akay, Cem Ozuduru, Ercin Sadikoglu
Darsteller: Muharrem Bayrak, Fatih Dokgöz, Mümin Kaar, Gorkem Kasal, Serhat Mustafa Kiliç, Mehmet Cerrahoglu
Kinostart DE: –
Kinostart US: –
Heimkinostart DE: –
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