Nachdem ich 2015 schon eine Reihe toller Dokumentarfilme gesehen („Chuck Norris und der Kommunismus“ und „Der Perlmuttknopf“ empfehle ich ausdrücklich) und mich erfolgreich um eine Besprechung gedrückt habe, ist es jetzt an der Zeit, mich im Doku-Bereich auszutoben. Die zweifelhafte Ehre hat „Remake, Remix, Rip-Off“ von Cem Kaya, einem deutschen Dokufilmer mit türkischen Wurzeln. In seiner Master-Arbeit wühlt er in den Archiven einer Filmindustrie, die zeitweilig zu den größten der Welt gehörte. Unter dem Namen Yeşilçam ist das türkische Mainstream-Kino der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannt. Und sein Modus Operandi ist ein spaßiges und interessantes Beispiel dafür, wie eine Filmindustrie in einem Land ohne Urheberrechtsgesetze funktioniert.
Deine Kultur, meine Kultur, unsere Kultur!
Cem Kayas Film, der als Master-Arbeit entstanden ist, beinhaltet eine Vielzahl von Themen und Ansätzen, die sich allesamt um den türkischen Mainstreamfilm der 50er bis 80er drehen. Er thematisiert diverse Erscheinungen dieser Epoche, lässt filmschaffende Zeitzeugen zu Wort kommen und liefert wichtige politische und soziale Hintergründe, die dem Zuschauer das Verständnis erleichtern. Schließlich geht er in Berliner Videotheken auf die Suche nach verstaubten Videokassetten und verfolgt so die Einflüsse von Yeşilçam bis in die Gegenwart. Inwiefern sich „Remake, Remix, Rip-Off“ zu einem aufschlussreichen und unterhaltsamen Film zusammensetzt, möchte ich ergründen.
Selbst jemand, für den Filmkunst nur eine Randerscheinung ist, dürfte mit dem Style des gezeigten Kinos vertraut sein. Hierzulande trat (und tritt) diese Form von Kulturgut oft in humoristischem Kontext auf und soll amüsieren. Verständlich, schließlich zeichnen diese Filme sich durch maßlose Übertreibung und unsagbaren Exzess aus. Sei es Over-Acting, abenteuerliche Schnitttechnik oder Dialog auf Soap-Niveau. Auch im Kontext des Films wirken viele dieser Szenen witzig und ernten Gelächter.
Doch Kayas Film ist mehr als eine Bloßstellung der für uns grotesk wirkenden Bilder und Töne. Er führt sein Publikum an den kulturellen und sozialen Hintergrund heran, vor dem diese Filme entstanden sind. Plötzlich tut sich vorm geistigen Auge des Zuschauers eine Maschinerie auf, die 350 Filme im Jahr fertigstellen musste, um die hohe Nachfrage des Publikums zu befriedigen. Natürlich ergab sich diese hohe Nachfrage nicht aus der Tatsache, dass das türkische Volk ausschließlich aus Cineasten besteht. Die Art von Film, die in Yeşilçam produziert wurde ist pures Mainstreamkino, das nicht für das Einheimsen von Lobeshymnen oder Preisen gemacht wurde. Diese Filme funktionierten als sozialer Klebstoff, sie wurden nicht in engen Gruppen von Filmfreunden besucht, sondern von 12-köpfigen Familien. Insofern unterscheiden sie sich kaum vom populären Kino der Gegenwart.
Der gravierendste Unterschied zwischen modernem Hollywood und altem Yeşilçam liegt in den abenteuerlichen Produktionsbedingungen. Über die Thematisierung dieser widrigen Umstände gelangt Kaya zum Herzstück seines Films: Den Plagiaten. In der Türkei gab es zu dieser Zeit keine Urheberrechtsgesetze, was dazu führte, dass Charaktere, Musik oder ganze Plots aus fremden (vor allem amerikanischen) Filmen auftauchten.
Auf den ersten Blick lässt diese Begebenheit auf Bequemlichkeit und Faulheit der Filmschaffenden schließen. Doch wie mit der eingangs erwähnten Lächerlichkeit verfliegt auch dieser Eindruck schnell, sobald man hinter die Kulissen der schrägen Filmindustrie schaut.
„Remake, Remix, Rip-Off“ behandelt populäre Kultur in verschiedenen Ländern und ihre Wahrnehmung in anderen. Manch einer mag sich über die Aneignung einer fremden Kultur beschweren. Aber was bedeutet der Begriff „Original“ in Bezug auf Filme? Wenn man sich die Geschichten der Menschheit ansieht, egal ob in Büchern, Liedern, Filmen oder Bildern, man findet stets Zyklen. Themen, die immer wieder auftraten und immer wieder auftreten werden, weil sie sich aus den Grundbedürfnissen und Makeln der Menschen ergeben. Folglich ist es (zumindest auf philosophischer Ebene) geradezu lächerlich, Anspruch auf eine Story zu erheben.
Obwohl dies der nachdrücklichste Punkt ist, den „Remake, Remix, Rip-Off“ macht, ist es nur einer von wenigen. In Cem Kayas Film verstecken sich viele Elemente, die vor allem für Cineasten hochinteressant sind. Aufstieg und Fall einer riesigen Filmindustrie. Fortschritte der Technologie und ihre Konsequenzen. Selbst der politische Werdegang der Türkei wird angeschnitten.
Wo die Debatte über die Grenzen der Popkultur den Kopf anregt, sind es jedoch vor allem die zahlreichen türkischen Stars und Regisseure vor der Kamera, die dem Film eine emotionale Wirkung verleihen. Wenn einer der interviewten Regisseure offenbart, dass er seine Jahre lieber mit dem Drehen von anspruchsvollen Arthouse-Filmen verbracht hätte, bezweifelt man weder seine Ambition noch seine Fähigkeit, dies zu tun. Selbst für dieses kurze Porträt eines verlorenen Traums nimmt Kaya sich Zeit. Und es fügt sich nahtlos in den Kosmos seines nur knapp 100-minütigen Films ein.
„Remake, Remix, Rip-Off“ ist ein extrem gehaltvoller Film, der viele Fragen aufwirft. Fragen, die selbst im vergleichsweise kleinen Publikum meiner Vorführung fruchtbare und ebenso gehaltvolle Diskussionen inspirierten, an denen der Regisseur sich rege beteiligte. Mit seiner liebe- und respektvollen Abhandlung über Popkultur widmet Cem Kaya sich einem großen Thema. Er zeichnet anhand der Yeşilçam-Filme ein Bild der kulturellen, politischen und sozialen Begebenheiten der Türkei. Das tut er mit viel Witz, viel Herz und einer spürbaren Liebe für die Welt des Films.
Ich verzichte ausnahmsweise auf die Einordnung in einer 10er-Skala, stattdessen vergibt die Filmbewertungsstelle Napalm ein
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