Tag Nummer 1, Film Nummer 3 und die erste richtige Überraschung des Filmfests. Und mit Überraschung ist hier nicht bloß gemeint, dass ein Film unerwartet gut ist. Regisseur Destin Cretton trifft in seinem zweiten Spielfilm eine große Vielfalt an Tönen mit einer unglaublichen Präzision und setzt die Elemente seines Films so gut zusammen, dass es sich bei „Short Term 12″ um nichts Geringeres als ein perfektes Drama und einen meiner definitiven Favoriten des Kinojahres gehört.
Grace (makellos verkörpert von Brie Larson) arbeitet als Betreuerin in einem Heim für psychisch kranke, verhaltensauffällige oder sonstwie „problematische“ Kinder und Jugendliche. Zusammen mit ihren Kollegen, zu denen auch ihr Freund Mason (John Gallagher Jr.) gehört, schlägt sie sich durch einen turbulenten und unterhaltsamen Alltag, der durch einen Neuzugang aus seinen Angeln gehoben wird. Die zurückgezogene Teenagerin Jayden (Kaitlyn Dever) schlägt schon kurz nach ihrer Ankunft große Wellen, sowohl in ihrer neuen Umgebung als auch im Privatleben ihrer Betreuer.
„Short Term 12“ zeichnet sich vor allem durch die unglaubliche Sensibiltät aus, mit der der Film seine Charaktere behandelt. Im Zentrum des Dramas steht Brie Larson, die bisher hauptsächlich als Nebendarstellerin aufgefallen ist. Hier trägt sie von Anfang bis Ende mühelos den Film und liefert eine Leistung ab, die sie locker in die Riege der besten jungen Schauspielerinnen Amerikas katapultieren dürfte. John Gallagher Jr., der zuletzt in der US-Serie „The Newsroom“ aufgefallen ist, bildet als Kollege und Freund Mason das perfekte Gegenstück zur fürsorglichen, aber schwer angeschlagenen Grace. Neben den beiden Hauptfiguren ist der Film bis in die kleinste Sprechrolle exzellent besetzt, oftmals mit Quereinsteigern oder jungen Schauspielern, die hier ihr Debüt feiern. Als letztes Beispiel des Casts möchte ich Keith Stanfield nennen, der den 17-jährigen Marcus mit einer Intensität spielt, die den Charakter fast greifbar macht.
Trotz der stets präsenten Thematik der zerstörten oder zerrissenen Kindheiten ist „Short Term 12“ weit davon entfernt, ein deprimierender Film zu sein. Der Fokus der Geschichte liegt nicht auf dem Ausbeuten und Präsentieren der Krisen seiner Figuren, sondern viel mehr auf der Balance zwischen den dunkleren und den helleren Seiten des (Zusammen)lebens. Die vielen leichteren und lustigen Momente wirken zu keiner Zeit erzwungen oder aufgesetzt, sondern runden das emotionale Karussell der Geschichte perfekt ab und machen dem Film zu einem zweifellos schwerem aber schonungslos ehrlichem Film.
Was viele Produktionen mit großen Namen in Cast und Crew versuchen, schafft der junge Amerikaner Destin Cretton in seinem zweiten Film mit einem Bruchteil der Ressourcen. Ohne überflüssige Tricks reduziert er die Geschichte auf ihre menschlichen Faktoren herunter und navigiert seinen jungen und endlos talentierten Cast durch ein aufrichtiges, trauriges, spannendes und natürlich spaßiges Drama. „Short Term 12“ ist ein Meisterstück seines Genres, einer der besten Filme des diesjährigen Filmfests und schlicht gesagt, einer der besten Filme die ich in jüngerer Zeit gesehen habe.
10/10
Short Term 12
Drama
Regie: Destin Daniel Cretton
Buch: Destin Daniel Cretton
Darsteller: Brie Larson, Frantz Turner, John Gallagher Jr., Stephanie Beatriz, Keith Stanfield
Kinostart DE: kein Starttermin
Kinostart US: 23.08.2013