Nach einem internationalen Festivalzyklus und Veröffentlichungen in einzelnen Ländern ist er endlich in Deutschland angekommen, der (zumindest von mir) lang und sehnlich erwartete High-Concept-Film des Jahres. Tom Hardy spielt Ivan Locke und hat über knapp 90 Minuten nur sein Auto und die Stimmen seiner Telefonpartner zur Verfügung, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu halten. Der letzte Film, bei dem ein solches Konzept vollends aufging, ist „Buried“, der beim Hamburger Filmfest anno 2010 einen ausverkauften 1000-Seelen-Saal zu einer drückenden und selten erlebten Stille trieb.
Das Konzept von „Locke“ ist ähnlich, nur ist es dieses Mal kein Sarg sondern ein Auto, in dem der Protagonist auf sein unausweichliches Schicksal zusteuert. Am Anfang des Films steht der Hauptcharakter an einer Kreuzung und muss eine unmögliche Entscheidung fällen, die Uhr fängt an zu ticken, die anderthalbstündige Fahrt nach London beginnt und die Schatten und Konsequenzen von Ivan Lockes selbst verhängtem Urteil verfolgen ihn. Analog zu Ryan Reynolds Paul Conroy fügt sich das Mosaik von Tom Hardys Charakter im Laufe des Films durch seine Aktionen und Reaktionen langsam aber sicher zu einer kompletten Persönlichkeit zusammen.
Ich muss zugeben, dass meine ersten Eindrücke des britischen Schauspielers Tom Hardy eher durchwachsen waren. Zu sehr schien er mir wie eine Art Hooligan, der seine Präsenz auf der Leinwand eher durch Physiologie als durch Psychologie etablierte. Mit Auftritten in „Warrior“ und vor allem in Nicolas Winding Refns „Bronson“ änderte mein Bild sich schließlich. Seine One-Man-Show in „Locke“ setzt ein gewaltiges Ausrufezeichen hinter diese Entwicklung. Hardys Fähigkeit, einen Film nur durch sein Gesicht und seine Stimme zu schultern ist schlichtweg beeindruckend und ähnlich überraschend wie damals bei Ryan Reynolds. Neben Hardy selbst sind es vor allem die beiden Serien-Lieblinge Andrew Scott („Sherlock“s unvergesslicher Jim Moriarty) und Ruth Wilson („Luther“s noch unvergesslichere Alice Morgan), die mit ihren Stimmen einen wesentlichen Teil zum Film beitragen und einen soliden Hintergrund für das Dilemma des Protagonisten aufbauen.
Leider kann „Locke“ nicht allen Belangen so stark punkten wie mit seinem pointierten Drehbuch. Der zweite Spielfilm des britischen Autors Steven Knight („Eastern Promises“) krankt an einigen inszenatorischen Schwächen, die das ambitionierte Konzept des Films teilweise untergraben. Zu oft verlässt Knight das Setting von Ivan Lockes Auto, entfernt die Kamera von seinem Protagonisten und dämpft somit die aufkommende Spannung. Einen ähnlichen Effekt hat die viel zu großzügig eingesetzte und flache Filmmusik, die die beklemmende Grundstimmung immer wieder löst. Ein wichtiges Element des Films, der Hintergrund seiner Hauptfigur, wird durch eine Reihe von Selbstgesprächen präsentiert, was trotz Tom Hardys beachtlicher Leistung etwas sehr simpel und uninspiriert wirkt. Verglichen mit „Buried“, in dem Rodrigo Cortés sein limitiertes Setting mit einer schier unglaublichen Vielfalt an visuellen, akustischen und erzählerischen Ideen vollstopft, lässt „Locke“ arg zu wünschen übrig.
Der größte Pluspunkt, den das Kammerspiel im Auto letztlich verbuchen kann, ist sein emotionales Grundthema. Anders als im Sarg geht es hier nicht ums pure Überleben, sondern um die großen Entscheidungen und Fehler, die wir im alltäglichen Leben machen und wie wir mit ihnen umgehen. Tom Hardy gibt einen sympathischen, fehlbaren und vielschichtigen Charakter, durch dessen Augen diese Thematik untersucht wird. Trotz des durch seine inkonsequente Inszenierung verschenkten Potentials ist „Locke“ ein außergewöhnlicher und guter Film, der sein Geld alleine für Hardys erstklassige Darbietung wert ist.
7,5/10
Trailer zu „Locke“:
Locke
Drama
Regie: Steven Knight
Buch: Steven Knight
Darsteller: Tom Hardy, Olivia Colman, Ruth Wilson
Kinostart DE: 19.06.2014
Kinostart US: 25.04.2014 (limited release)