Ganze elf Male habe ich es um die Sonne geschafft, bis mich das amerikanische Film-Disaster „The Room“ in einem Berliner Kino ereilte. Der Film des Regisseurs/Autors/Produzenten/Hauptdarstellers Tommy Wiseau hat im letzten Jahrzehnt eine buchstäbliche Schneise der Verwüstung durch die Kinosäle der Welt gezogen. Auf seinem langen Weg durch die Mitternachtsvorstellungen in obskuren Lichtspielhäusern sammelte er dabei zahlreiche Prädikate, die bunter nicht sein könnten. Von manchen Banausen wird er schlichtweg als „Schlechtester Film aller Zeiten“ bezeichnet, Andere nannten ihn den „Citizen Kane der schlechten Filme“, am zehnten Tag des siebten Monats im Jahre 2014 unseres Herren konnte ich mir endlich eine eigene Meinung bilden.
Worum geht’s?
Johnny (Tommy Wiseau) ist ein stets perfekt gekleideter Bänker, der mit sich und seiner Welt im Reinen ist. Er verwöhnt seine Verlobte Lisa (Juliette Danielle), kümmert sich voller Aufopferung um seinen Adoptivsohn Denny (Phillip Haldiman) und ist stets für seinen besten Freund Mark (Greg Sestero) da. Sein Leben gerät aus den Fugen, als seine Verlobte ohne Grund entscheidet, dass sie von Johnny gelangweilt ist und kurzerhand eine Affäre mit seinem besten Freund anfängt.
Die cineastische Grausamkeit des Films ist fast zu komplex, um sie in einem einzelnen Blogeintrag abzuhandeln. Egal ob grob fahrlässige Schnitte, hölzernes Schauspiel, amateurhafte Dialoge oder eine Musik, die sogar für RTL-Soaps zu grausam wäre, „The Room“ nimmt ohne Gnade alle Sünden mit, die ein Filmemacher begehen kann. Die unmissverständliche Krönung ist jedoch Tommy Wiseau selbst. Seine Leistung als Hauptdarsteller des Films ist ohne jeden Zweifel die Schlechteste, die es jemals auf einer Leinwand oder einem Bildschirm zu bestaunen gab. Doch trotz all seiner Verfehlungen verströmt „The Room“ einen seltsamen und kaum greifbaren Charme.
Das Kult-Phänomen
Es gibt einen sehr einfachen Grund, warum die amerikanische Traumfabrik konstant Filme wie „Piranhaconda“, „Arachnoquake“ oder „Sharknado“ ausscheidet. Sie sind die filmische Definition eines Guilty Pleasures und machen als solche durchaus Spaß. Natürlich ergibt sich auch aus der oberflächlichen Amateurhaftigkeit von „The Room“ eine endlose Reihe von unfreiwillig komischen Situationen. Doch entgegen aller Unkenrufe passiert hier tatsächlich mehr als in den absichtlich billig produzierten und lächerlichen Zelluloid-Exkrementen. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht zu glauben ist, handelt es sich bei „The Room“ um einen vollkommen legitimen und nicht uninteressanten Blick auf unsere Welt.
Bereits in der ersten Sekunde seines Auftrittes wirkt der Protagonist des Films gnadenlos deplatziert. Egal ob durch sein schräges Aussehen, seine furchteinflößende Aussprache oder seine rätselhaften Dialoge, Wiseau ist so weit von einer normalen Menschlichkeit entfernt, dass er genau so gut von einem anderen Planeten stammen könnte. Und genau da liegt der Schlüssel zu „The Room“. Betrachtet man den Film als Drama ist es nur all zu leicht, sich über seine gravierenden Fehler lustig zu machen. Seine mysteriöse Brillanz liegt vielmehr darin, dass er eine nie zuvor gesehene Perspektive auf den menschlichen Zirkus bietet.
Der schlechteste Film aller Zeiten?
Letzten Endes sind vor allem Autorenfilme nicht mehr als eine Reflektion des Filmemachers über die Sachen, die ihn bewegen. Egal ob es um Liebe, Religion, Politik oder andere große Themen der Menschheit geht, ein Film bietet die wohl beste Art und Weise, unsere Welt durch die Augen eines Anderen zu begutachten. Betrachtet man die unpassenden und sinnlosen Dialoge wird klar, dass die Vorgänge in Herz und Hirn anderer Menschen für den Autor von „The Room“ ein Buch mit sieben Siegeln sind. Genau wie sein rätselhafter Protagonist stolpert Wiseau durch eine Welt, die er zu seiner großen Frustration nicht zu verstehen scheint.
Die Definition eines „schlechten“ Films liegt natürlich im Auge des Betrachters. Für mich sind die Anwärter des Titels „Schlechtester Film aller Zeiten“ vor allem Totalausfälle wie die fünfte „Stirb Langsam“-Missgeburt oder seelenlose, dämliche Filme wie die „Transformers“-Reihe, die sich einem minderbemittelten Publikum anbiedern um möglichst viel Kohle zu verdienen. Tommy Wiseau weiß vielleicht nicht, wie man Filme macht. Dafür weiß er ganz genau, wie man Filme nicht macht. Und diese Linie zieht er über anderthalb Stunden mit einer ansteckenden Zuversicht und köstlichen Kaltschnäuzigkeit gnadenlos durch.
Handelt es sich bei „The Room“ um einen schlechten Film? Sicherlich. Ist es der schlechteste Film aller Zeiten? Mitnichten. Im Gegensatz zu den oben genannten Rohrkrepieren verfügt er sehr wohl über eine Seele. Nicht nur besticht er durch einen immensen Unterhaltungswert, er ist ebenso ein überaus intimes und persönliches Porträt unser Gesellschaft, gemalt von einem mental nicht ganz gesunden, aber nicht minder faszinierenden Menschen. Und genau das ist es, was im Zuschauer eine unterbewusste Reaktion auslöst und „The Room“ in den elf Jahren seit seiner Entstehung vollkommen zurecht zum Status des Kultfilms verholfen hat.
Ein schöner Dank gilt an dieser Stelle dem B-Film Basterds Festival, das den Film erstmals offiziell über deutsche Leinwände flackern ließ.
The Room
Drama
Regie: Tommy Wiseau
Buch: Tommy Wiseau
Darsteller: Tommy Wiseau, Juliette Danielle, Greg Sestero
Kinostart DE: 09.05.2014 (erstes offizielles Screening im Zuge des B-Film Basterds Festivals)
Kinostart US: 27.06.2003