Als einer der größten Häfen weltweit hat die norddeutsche Elbperle Hamburg im Laufe der letzten Jahrhunderte viele Gäste kommen und gehen sehen und sich zurecht den Namen „Tor zur Welt“ verdient. In der jüngeren Vergangenheit der Stadt wurde die traditionsreiche Geschichte um eines ihrer dunkelsten Kapitel erweitert, als die radikal-islamistische Zelle um Mohammed Atta hier ihr Zelt aufschlug und einen der verheerendsten terroristischen Anschläge des frühen 21. Jahrhunderts plante. Ein Ereignis, dessen Konsequenzen vom Protagonisten von „A Most Wanted Man“ in einer seiner vielen lakonischen Aussagen treffend auf den Punkt gebracht werden. Wir empfangen zwar immer noch Gäste, doch an die Stelle der Gastfreundschaft ist eine Paranoia getreten, die an Todesangst grenzt.
Mit den Lichtern des Hamburger Hafens im Hintergrund klettert Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin) wie ein inoffiziell immigriertes Seeungeheuer aus dem Wasser. Nur Stunden nach seiner Ankunft landet er auf dem Radar einer ebenso inoffiziellen Abteilung des deutschen Geheimdienstes, die vom alteingesessenen Spion Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman) und seiner Kollegin Irna Frey (Nina Hoss) geleitet wird. Obwohl weder seine Intentionen noch seine Vergangenheit klar sind, entwickelt der junge Tschetschene sich schnell zum Verdächtigen und wird sowohl von deutschen als auch amerikanischen Augen mit Aufmerksamkeit überschüttet. Seine Kontaktaufnahme mit der jungen Anwältin Annabel Richter (Rachel McAdams) und dem zwielichtigen Privatbänker Thomas Brue (Willem Dafoe) wird genauestens beobachtet, während hinter den Kulissen ein Tauziehen der internationalen Geheimdienste um den mysteriösen Issa beginnt.
Die neueste Verfilmung einer literarischen Vorlage von John le Carré („Bube, Dame, König, Spion“, „Der ewige Gärtner“) verrät bereits mit der anfänglichen Texteinblendung, in was für einer Welt sie spielt. Im Chaos, das von den Anschlägen des 11. September 2001 entfacht wurde, geht es den Geheimdiensten vor allem darum, eine weitere Katastrophe dieses Ausmaßes zu verhindern, egal um welchen Preis. „A Most Wanted Man“ stellt diesen Übereifer ins Rampenlicht und konstruiert daraus ein beunruhigendes Bild von denen, deren Job es ist, uns zu beschützen. In seiner letzten vollendeten Darbietung verkörpert Philip Seymour Hoffman den Veteranen Günther Bachmann, der im Anblick seiner täglichen Sisyphos-Aufgabe zunehmend mürbe wird.
Stets mit einer Zigarette im Mund und einem Flachmann in der Hand navigiert Bachmann durch moralische und legale Grauzonen, setzt seine manipulativen Schachzüge und koordiniert derweil notgedrungen mit seinen Kollegen. Getrieben wird die Arbeit der Geheimdienste in „A Most Wanted Man“ allerdings nicht von handfesten Beweisen, sondern von flüchtigen Verdachtsmomenten und groben Ahnungen. Nicht selten muss Bachmann sich der Frage „Do you think? Or do you know?“ stellen. Das Resultat seiner Konfrontationen mit deutschen und amerikanischen Kollegen ist eine kaputte Maschinerie. Ein Zusammenschluss von Personen, die zwar augenscheinlich das selbe Ziel haben, aber in entgegengesetzte Richtungen arbeiten und sich letztendlich gegenseitig paralysieren. Die eigentliche Geschichte um den rätselhaften Immigranten gerät hierbei schnell in den Hintergrund und mutiert zu einem Puppenspiel der Geheimdienstler.
Seine Karten legt der Film schneller auf den Tisch, als es für seinen Spannungsbogen gut ist. Zwar entwickeln sich Issa und sein Vorhaben zum Motor des letzten Aktes, doch ist die wirkliche Geschichte zu diesem Zeitpunkt längst erzählt. Trotz der Längen, die ihn zum Ende hin plagen, ist „A Most Wanted Man“ ein durch und durch lohnenswerter Film. Vor der sehr stimmigen und tristen Kulisse der herbstlichen Hansestadt inszeniert Anton Corbijn einen Politthriller, der sich durch eine dichte Atmosphäre, ein präzises, aussagekräftiges Drehbuch und vor allem durch eine Reihe an starken Charakteren und Dialogen auszeichnet. Angeführt wird die Riege der Schauspieler von Philip Seymour Hoffman, der den abgestumpften und ermatteten Günther Bachmann gewohnt perfekt verkörpert und zum Sinnbild des kompletten Films wird.
Zwar wird Hoffman in den letzten beiden Teilen der „Tribute von Panem“-Reihe weitere posthume Auftritte haben, doch als letzter fertiggestellter Film des tragisch verstorbenen Schauspielers ist „A Most Wanted Man“ ein angemessener Nachlass, der mit einer Einstellung endet, die nicht nur über seiner Figur, sondern auch über einem der größten Charakterdarsteller seiner Generation einen ebenso finalen wie emotionalen letzten Vorhang lässt.
7/10
A Most Wanted Man
Thriller
Regie: Anton Corbijn
Buch: Andrew Bovell (Drehbuch), John Le Carré (Vorlage)
Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Grigoriy Dobrygin, Rachel McAdams, Willem Dafoe, Nina Hoss, Robin Wright, Daniel Brühl, Herbert Grönemeyer
Kinostart DE: 11.09.2014
Kinostart US: 25.07.2014