Traditionell ist der Zweck von Science-Fiction ist, einen philosophischen Denkprozeß im Kopf seiner Zuschauer/Leser anzuregen. Diese Aussage lässt sich anhand einer der berühmtesten und allgemein als perfekt angesehenen Sci-Fi-Geschichten aller Zeiten zementieren, die außerdem mein absoluter Favorit des Genres ist. Die Rede ist natürlich von Arthur C. Clarkes „2001: A Space Odyssey“ und der dazugehörigen Verfilmung von Stanley Kubrick.
Mit einer monumentalen Perspektive, die seitdem nicht mehr erreicht wurde, schafft Kubrick bereits im Jahr 1968 einen Film, der das Genre bis heute definiert, zumindest im filmischen Bereich. Er begleitet die Menschen vom Anfang ihrer Zivilisation bis zur bis dato (und heute immer noch) unübertroffenen Errungenschaft. Der Reise ins Weltall. Der Philosoph Alan Watts brachte es mit seiner Phrase „You are the universe experiencing itself.“ wohl am besten auf den Punkt. Der Mensch und das menschliche Bewusstsein, das auf dem Planeten einzigartig ist, ist ein Weg des Universums, sich selber zu untersuchen und zu verstehen.
In „2001: A Space Odyssey“ transportieren Clarke und Kubrick den menschlichen Geist buchstäblich an die Grenzen seines Wissens und gehen dann noch einen Schritt weiter, indem sie ihn mit einer fortgeschrittenen Lebensform konfrontieren.
Heute nehmen moderne Werke des Science-Fiction-Genres diesen Ansatz immer noch ernst, wie man zuletzt im wunderbaren „Her“ sehen konnte. Trotzdem hat es eine ganze Weile gedauert, bis ein neuer Film die Bühne betrat, der Kubricks Meisterwerk das Wasser reichen konnte. Mit „Under the Skin“ vom britischen Regisseur Jonathan Glazer ist es jetzt soweit, der Film ruft in vielerlei Kritiken Assoziationen zum fast 50-jährigen Meilenstein hervor. Natürlich gibt es auch Stimmen, die ihn als langweilig, fad und uninteressant beschreiben, aber ähnlichen Vorwürfen mussten sich unzählige wertvolle Sci-Fi-Geschichten über die Jahre stellen.
In „Under the Skin“ geht es um einen namenlosen Alien (der in der Buchvorlage den Namen Isserley trägt), der getarnt als Scarlett Johansson sein Lager in Schottland aufstellt. Der Modus Operandi der Außerirdischen wirkt zunächst simpel genug. Als klassische Alien-Femme Fatale verführt Johansson schottische Männer, um sie für Roh- und/oder Kraftstoffe zu ernten. Interessant wird ihre Geschichte, als sie sich mit der menschlichen und schließlich ihrer eigenen Natur konfrontiert sieht.
Es gibt eine Aussage über kraftvolles visuelles Filmschaffen. Sie besagt, dass man einem gut inszenierten Film auch dann noch folgen kann, wenn man ohne Ton und somit Dialoge ansieht. Dieses Konzept nimmt „Under the Skin“ sich zu Herzen, er besteht nur zu einem verschwindend geringen Teil aus Dialogen und verfügt über fast keine klassische Exposition.
Stattdessen erzählt er seine Geschichte ausschließlich in abstrakten Bildern, die die Handlung zwar ausreichend nachvollziehbar aufbauen, aber trotzdem reichlich Spielraum für Interpretation bieten. Direkt am Anfang, in einer Sequenz, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Isserleys Vorbereitung für ihre irdische Mission zeigen, baut Glazer seine surreale und fremdartige Bilderwelt auf. Diese Welt entfaltet sich vor allem in den Szenen, die die Verführung und den anschließenden Konsum von Isserleys Opfern zeigen.
Der innere Konflikt, mit dem Isserley sich schließlich auseinandersetzen muss, wird ähnlich wie in „2001“ aus einem philosophischen Grundproblem konstruiert. Es geht um Themen der Identität, des Bewusstseins und um die unüberwindbaren Konsequenzen der Menschlichkeit. All das wird in einem wortkargen Film inszeniert, der ausschließlich von seinem kryptischen, minimalistischen Stil und natürlich von der absolut brillanten Leistung Scarlett Johanssons lebt.
In ihrer langen und bunten Karriere hat die New Yorkerin bereits mehrfach ihre Vielseitigkeit unter Beweis gestellt, ob in physikalischen Rolle wie einer Black Widow oder einer Lucy, oder in psychologisch fordernden und charaktergetriebenen Rollen wie im besagten „Her“. Und das sind nur Filme aus diesem Jahr. In „Under the Skin“ stellt sie sich ihrem bisher kompliziertesten Projekt und überzeugt auf voller Linie.
Die beinahe tollkühnen Parallelen zu „2001“ sind berechtigt. 45 Jahre nachdem Kubrick den Maßstab für hochgeistige Sci-Fi-Kost setzte, gibt es endlich einen Film, der zu diesen Wurzeln zurückkehrt. Klar inspiriert von der Odyssee im Weltraum geht „Under the Skin“ aber seinen eigenen Weg und behandelt mit ähnlich effektiven Mitteln eines der fundamentalen Themen, denen sich der menschliche Geist annehmen kann.
10/10
Under the Skin
Sci-Fi, Thriller
Regie: Jonathan Glazer
Buch: Walter Campbell, Jonathan Glazer (Drehbuch), Michel Faber (Vorlage)
Darsteller: Scarlett Johansson, Paul Brannigan, Jeremy McWilliams
Kinostart DE: nein (DVD/Blu-Ray-Release am 10.10.2014)
Kinostart US: 04.04.2014 (limited release)
Also den Film mit 2001 auf eine Stufe zu stellen find ich schon mehr als gewagt, aber das sei jedem selbst überlassen. Mich konnte er nicht vollends überzeugen, die ersten zwei Akte sind ja audiovisuell ganz schön, aber das Schlussdrittel (bzw. die letzten 30 Minuten) hatten dann nicht mehr wirklich etwas zu bieten. Inhaltlich ein durchschnittlicher Sci-Fi-Film, der zumindest in seiner ersten Hälfte wie gesagt audiovisuell interessant gerät. Deine Wertung überrascht mich allerdings nicht.
Dass dein letzter Satz noch nötig war überrascht mich genau so wenig.
Den Film mit 2001 gleichzusetzen klingt für mich wie ein sterbenslangweiliger Film 😉
Ist er wahrscheinlich auch.
Aber Filme mit wenig Dialog, langen Einstellungen und kryptischen Themen waren ja noch nie etwas für Jedermann.
Ich hab dreimal versucht mir 2001 anzusehen und bin dreimal eingepennt 😉 Wenn jemand andere Filme mit dem vergleicht, lasse ich lieber die Finger davon 😀
Ich hab so nichts gegen lange einstellungen und wenig Dialoge – ich schaue ja auch Stummfilme 🙂