Gut gelaunt hopst Florian David Fitz die Treppen des ausverkauften Hamburger Kinosaales herunter und beginnt die folgende Fragerunde zu seinem jüngsten Film „Hin und weg“ mit einer lustigen Anekdote. Das Szenario wirkt etwas befremdlich, wenn man in Betracht zieht, dass der Saal zu 95% aus Mädchen besteht, denen noch immer Wasserfälle aus dem Gesicht laufen. Kein Wunder, denn eigentlich ist „Hin und weg“ ein sehr trauriger Film, oder zumindest versucht er, es zu sein. Die nonchalante Art und Weise, mit der Fitz sein pubertierendes Publikum begrüßt, spiegelt kurioserweise die oberflächliche und substanzlose Darstellung einer fatalen Krankheit wieder, die sich in den anderthalb Stunden zuvor auf der Leinwand abgespielt hat.
Hannes (Florian David Fitz) leidet an ALS, besser bekannt als die Krankheit, wegen der sich kürzlich haufenweise Mitläufer weltweit kübelweise Eiswasser über den Kopf geschüttet haben. Er ist dran, das Ziel für den jährlichen Fahrradausflug seiner Clique auszuwählen. Die Wahl fällt auf Belgien, was seine Freunde zunächst wundert. Ganz uneigennützig ist die Wahl natürlich nicht. Nach „Belgien sehen..und sterben“-Manier möchte Hannes mit seinen Freunden und seiner Partnerin einen letzten unbeschwerten Urlaub genießen, um sich am Zielort das Lebenslicht ausknipsen zu lassen.
Im Grundgerüst von „Hin und weg“ versteckt sich eine Menge Potential für Gedankenanstöße zur Moralität der Sterbehilfe, dem Wert und Sinn des Lebens und nicht zuletzt der Bewältigung einer tödlichen Krankheit. Zwischen dem Grundgerüst und dem finalen Produkt wird jedoch kaum etwas von diesem Potential realisiert. Stattdessen schwimmt der Film in einem See aus Oberflächlichkeit, den man hauptsächlich dem dünnen Drehbuch zuschreiben muss.
Eröffnet wird „Hin und weg“ vom todkranken Protagonisten, der während seiner täglichen sportlichen Verausgabung erstmals das Schwinden seiner Kräfte feststellt. Dies gibt ihm die nötige Motivation, seine terminale Reise anzutreten. Ohne zweite Bedenken schleppt er seine Freundin Kiki (Julia Koschitz) und seine zunächst uneingeweihten Freunde mit. Kurz nach Beginn des Trips und nach Hannes‘ Offenbarung sind diese natürlich erschüttert, aber entschließen sich kurz darauf, ihren Freund auf seiner letzten Tour zu begleiten.
Der Film macht sich ein seltsames und heuchlerisches Phänomen der menschlichen Psyche zu Nutzen. Zu Lebenszeit sind wir uns egal, aber sobald die Uhr (unerwartet schnell) tickt, haben wir uns lieb und sind alle tapfere Krieger, vereint im Kampf gegen den Tod. Diese Tatsache setzt „Hin und weg“ vor allem in Hinsicht auf seinen schroffen und unsympathischen Protagonisten voraus. Er wird in Kürze sterben, also müssen wir Mitleid mit ihm haben. Dass er sich um die Konsequenz seines Ablebens für die ihm Nahestehenden kaum schert, ist dabei unerheblich. Mehrmals bekommen wir einen Einblick in die Gefühlswelt von Hannes‘ Freundin Kiki, die durch den bevorstehenden Tod ihres Liebsten selber vorm Abgrund steht. Dass sich der Film augenscheinlich genau so wenig für diese Figur interessiert wie ihre bessere Hälfte, ist eine Katastrophe.
Als ob dies nicht schon schlimm genug wäre, verliert „Hin und weg“ sich dank seiner Nebenfiguren in irrelevanten Subplots, die weder zum eigentlichen Thema beitragen, noch emotionale Reaktionen hervorrufen können. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Ehepaar, das an der Fahrradtour teilnimmt. Ihre Szenen drehen sich ausschließlich um die sexuelle Frustration, die eine lange Ehe mit sich bringen kann. Viel gravierender als die Unpässlichkeit dieser kostbaren Minuten ist die Tatsache, dass die Konflikte nicht selten in billige Witze münden, die selbstverständlich um Sex rotieren. Man stelle sich eine nächtliche Szene vor, in der die Beiden in ihrem Zelt über den baldigen Tod ihres Freundes sinnieren. Dies führt schließlich zu einer sexuellen Annäherung. Diese Annäherung verpufft sogleich in alberne Komödie, als die Frau ein Telefonat mit ihren Kindern führt (mitten in der Nacht, wohlgemerkt), während sie ihrem Mann am Gemächt herumfummelt.
Dies ist nur eines der zahlreichen Beispiele dafür, dass der Film sich konstant selbst im Weg steht. Ähnlich amateurhaft werden die dramatischen Gehversuche abgearbeitet. Wenn der Womanizer der Gruppe (Jürgen Vogel) eine flüchtige Bett-Bekanntschaft aus unerfindlichen Gründen prompt mit auf die Reise nimmt, ihr aber nicht von Hannes‘ misslicher Lage erzählt, resultiert dies in einer unfeinen Bemerkung über den Zusammenbruch des Protagonisten, über den man sich als Zuschauer augenscheinlich empören soll. Dass die Nebencharaktere im Angesicht ihres krepierenden Freundes zu nächtlichen Sexabenteuern aufbrechen oder wildfremde Frauen mit auf den Trip nehmen, ist aber okay. Viel simpler und manipulativer kann man weder Komödie noch Drama gestalten.
Lektionen bietet „Hin und weg“ nicht, weder für seine Charaktere, noch für das Publikum. Es ist die Geschichte eines todgeweihten Mannes, der nach Belgien fährt, um Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Mehr nicht. Sämtliche Möglichkeiten, Diskussionen über den Sinn des Lebens zu führen, erstickt der Film im Keim und konzentriert sich lieber darauf, seine Zuschauer mit den simpelsten Mitteln zum Lachen und Weinen zu bringen. Gelegentlich wird man von der Realisation ergriffen, dass der quicklebendige Protagonist in nur wenigen Minuten nicht mehr existieren wird und man ist geneigt, über die Vergänglichkeit des Lebens nachzudenken. Doch kurz darauf ereilt einen die nächste Realisation, dass besagter Protagonist eigentlich ein ziemlicher Arsch ist.
„Hin und weg“ ist ein ausgezeichnetes Beispiel für alles, was ein Film falsch machen kann. Er versagt nicht nur bei der Behandlung eines sensiblen Themas, er biedert sich seinen Zuschauern an jeder Ecke mit falscher Sentimentalität und peinlichen, flachen Sexwitzen an. Für eine Schar von 14-jährigen Mädchen, die sich noch immer von ihrem Florian-David-Fitz-Selfie-Delirium erholen, mag dies genügen, aber für ein anspruchsvolles Publikum ist es eine Beleidigung.
Kleinere Lichtblicke entstehen nur durch die Leistung von Julia Koschitz, die als Einzige in einem Ensemble aus oberflächlichen Charakteren heraussticht. Im Großen und Ganzen ist „Hin und weg“ aber ein schwacher, enttäuschender Film, der ebenso schnell in Vergessenheit geraten wird, wie die Ice Bucket Challenge.
2/10
Hin und weg
Drama
Regie: Christian Zübert
Buch: Christian Zübert, Ariane Schröder
Darsteller: Florian David Fitz, Julia Koschitz, Jürgen Vogel, Hannelore Elsner, Miriam Stein, Volker Bruch
Kinostart DE: 23.10.2014
Kinostart US: ??.??.????