In einer provisorischen Station auf einem Planeten am buchstäblichen anderen Ende der Galaxie steht ein Kasten. Im Kasten befindet sich ein Astronaut im Kälteschlaf. Er hält eine stille und einsame Wache, die womöglich niemals ein Ende finden wird. Menschliche Gesichter sind hier, am Ende des Weges, kaum mehr als eine Erinnerung oder ein Traum. Das Schlummern wird von einer Gruppe weiterer Raumfahrer unterbrochen und der Schlafende wird wider Erwarten aufgeweckt. Schockiert, überwältigt und von purer Freude überschüttet fängt er das Weinen an und liegt dem neu angekommenen Kollegen für gute 10 Sekunden in den Armen. Nach einem Charaktermoment wie diesem würde man in einem Film von Christopher Nolan womöglich zuletzt suchen. Doch entgegen der Erwartungen schafft der Brite es hier nicht nur, ein astreines Science-Fiction-Epos auf die Leinwand zu bringen, sondern überrascht sein Publikum mit einem Gespür für Menschlichkeit, das man in seinen bisherigen Filmen vermisst hat.
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In einer nicht all zu fernen Zukunft werden die Ressourcen unseres Planeten knapp. Das stetige Aussterben von Getreide hat die Lebensmittelproduktion eingedämmt und die menschliche Zivilisation steht langsam aber sicher vor einer tickenden Uhr, die nicht nur von mangelnder Nahrung, sondern auch von einem Wandel der irdischen Atmosphäre herbeigeführt wird. Landwirte wie Cooper (Matthew McConaughey) sind die letzten Bastionen einer schwindenden Hoffnung. Mit den Füßen fest auf der Erde und dem Blick gen Himmel fristet der ehemalige NASA-Pilot, clevere Ingenieur und alleinerziehende Vater zweier Kinder sein Dasein.

Durch eine Verkettung von mehr oder weniger wundersamen Ereignissen wird er Teil der ultimativen Bemühung der Menschheit. Dank einer Reihe von Wurmlöchern, die in unserem Sonnensystem entdeckt wurden, öffnen sich Türen in unbekannte Weiten des Universums. Die Mission von Cooper und seinem Team ist es, in diesen unerkundeten Welten nach einem neuen Zuhause für die menschliche Spezies zu suchen. Schweren Herzens verabschiedet sich der Farmer von seiner Familie und macht sich auf, die Menschheit zu retten.
Schein und Sein
Mit nur wenigen Filmen hat Christopher Nolan sich zu einem Liebling des breiten Publikums gemausert. Geschuldet ist dies hauptsächlich seiner „Dark Knight“-Trilogie, die von vielen Fans als beste Interpretation der menschlichen Fledermaus gehandelt wird. Dass vor allem „The Dark Knight Rises“ ein undurchschaubares, viel zu langes Knäuel aus unplausiblen und geradezu dämlichen Momenten ist, wird dabei gerne übersehen. Auch außerhalb der Comic-Verfilmungen genießt der Regisseur einen besseren Ruf, als er eigentlich verdient. Sein viel gelobter „Inception“ fällt durch eine ebenso enigmatische und komplexe Struktur auf, die von vielen als tiefgründig oder gar brillant interpretiert wurde. Dabei ist es höchst verwerflich, wenn ein Filmemacher sich gleich auf mehrere Traumebenen begibt, nur um sein ambitioniertes Konzept in immer längere Feuergefechte verpuffen zu lassen und seine visuellen Ideen auf Actionszenen mit unebener Schwerkraft zu reduzieren.

Auf einer schier visuellen Ebene mag Nolans Arbeit überzeugen, allerdings versagt sie gründlich, wenn es zu den dramatischen Aspekten kommt. Das ist nur bedingt Schuld des Regisseurs, da seine Filme sich durchweg in fantastischen und sterilen Welten abspielen, die sich von der Realität kaum weiter entfernen könnten. Hinzu kommt, dass seine Charaktere oftmals zu kalkulierend und rational daherkommen, um eine Verbindung zum Zuschauer aufrecht zu erhalten. Die Filme von Christopher Nolan funktionieren als Gedankenexperimente („Inception“), Zaubertricks („The Prestige“) und clevere filmische Spielereien („Memento“), doch die Mechaniken und Vorgänge im menschlichen Herzen scheinen dem Regisseur ein ebenso großes Rätsel zu sein, wie seine Filme es für das Publikum sein möchten.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Mit seinem neuesten Projekt hat Nolan diese Kurve endlich gekriegt. In erster Linie ist „Interstellar“ das, was er verspricht. Ein ambitionierter Film über Raumfahrt und die Erkundung neuer Welten. Es ist eine köstliche Ironie, dass der Regisseur mit seinem Ausflug ans buchstäbliche Ende der wissenschaftlichen Erkenntnis auch endlich den Weg zur Menschlichkeit findet.

Anstatt sich bloß mit den komplexen Elementen der theoretischen Physik zu befassen, untersucht er ihren Effekt auf die menschliche Psyche. Woran denkt man im Angesicht des pechschwarzen Unbekannten? Was fühlt man bei dem Gedanken, dass die eigenen Kinder innerhalb der letzten Stunde um 7 Jahre gealtert sind? Diese Momente, die in ersten Filmkritiken mit dem Begriff Sentimentalität abgetan wurden, sind in „Interstellar“ zahlreich vorhanden und machen ihn mühelos zur bislang besten Arbeit des britischen Regisseurs.
Wurmlöcher, Relativitätstheorie und Dimensionalität
Mit großem Respekt vor den Meistern des Science-Fiction-Genres befasst Nolan sich in „Interstellar“ mit den wohl kompliziertesten Ideen der theoretischen Physik. Er begleitet seine Astronauten an die Grenze des Fassbaren und geht dabei als Filmemacher weiter, als seine Kollegen es in den letzten Jahren und Jahrzehnten getan haben. Im letzten Akt seines Films stellt er sich einer immensen visuellen Herausforderung, deren Auflösung zwar nicht ohne Kontroverse bleiben wird, aber auf Jahre hin als einer der Maßstäbe in Sachen filmischer und erzählerischer Ambition gelten dürfte.

Bemerkenswert ist auch, dass „Interstellar“ seine Zuschauer über knapp drei Stunden Laufzeit nicht permanent an die Hand nimmt, wie „Inception“ es tut. Nolan nimmt sich so viel Zeit wie nötig und so wenig wie möglich, um seine Zuschauer über die komplexen Mechaniken von Anomalien in Zeit und Raum aufzuklären, was den Film zu dem macht, was man als „hard sci-fi“ bezeichnet. Sicherlich ein Stolperstein für die Popcorn-Fraktion, die sich auf einen Kinoabend voller Essen, Trinken und Labern freut, aber wenigstens fühlt sich die andere Hälfte des Publikums nicht für dumm verkauft.
Der Tod des Lichts
Die gedankliche und thematische Verwandtschaft zum Vorbild „2001: A Space Odyssey“ ist nicht zu übersehen. Stanley Kubricks Film, der vermutlich auf alle Zeiten als Maßstab für die filmische Erkundung des menschlichen Wissenshorizonts dienen wird, dient als unmissverständliche Inspiration für Nolans Einstand im Science-Fiction-Genre. Und obwohl Nolans Film auf ähnlichen Pfaden tritt, wird ihm ein derartig legendärer Status verwehrt bleiben. Dafür ist „Interstellar“ zu rund, zu geschlossen und beantwortet letztlich mehr Fragen, als er stellt.

Nichtsdestotrotz ist Christopher Nolan mit seinem ersten, richtigen Beitrag zum Science-Fiction-Genre ein großartiger Einstieg gelungen, der sich durch gewohnt spektakuläre Bilder, schwindelerregende Gedankenansätze und erstmals auch durch glaubwürdige Charakterzeichnung an die Spitze seiner Filmographie setzt.
8,5/10
Interstellar
Science-Fiction
Regie: Christopher Nolan
Buch: Christopher Nolan, Jonathan Nolan
Darsteller: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Michael Caine, Wes Bentley, Jessica Chastain, John Lithgow
Kinostart DE: 06.11..2014
Kinostart US: 07.11.2014
Dass vor allem “The Dark Knight Rises” ein undurchschaubares, viel zu langes Knäuel aus unplausiblen und geradezu dämlichen Momenten ist
Wegen mir könnte man diesen Filmtitel auch mit „Interstellar“ ersetzen. Konnte ihm wenig abgewinnen, die Handlung war bisweilen unverschämt hanebüchen, der Sci-Fi-Filmverlauf wenig originell und das Ende früh absehbar. Auch fand ich, den Charakteren fehlt jegliche Tiefe, was bei Nolan jedoch nichts Neues ist. Hatte mir aufgrund der Thematik etwas (mehr) versprochen, am Ende hat Nolan wie immer dasselbe verbrochen.