Ein knappes Jahrhundert nach Fritz Langs „Metropolis“ wagen die Deutschen sich erneut an die dystopische Science-Fiction. Großartig! Leider scheint dieses Genre derzeit vornehmlich in Form von Jugendromanen wie dem niederländischen „Boy7“ zu existieren. Können Regisseur Özgür Yildirim und sein Team den jugendlichen Stoff erfolgreich für die breite Masse aufarbeiten?
Dystopisches Deutschland
Die ersten Töne von „Boy7“ lassen Hoffnung aufkommen. Der Kinosaal ist in omnipotente Dunkelheit getaucht, aus der ein leises Röcheln und Atmen hervordringt. Dann wird eine Taschenlampe angeschaltet und wir gehen zusammen mit Sam (David Kross) die ersten Schritte nach einem kompletten Gedächtnisverlust. Ziel- und orientierungslos irrt er durch einen Hamburger Bahnhof, abspielen tut sich diese erste Sequenz aus der Perspektive der ersten Person. Zusammen mit dem cleveren Kamerakonzept verschwindet einige Momente später auch die Kreativität der Filmschaffenden die Bühne und wird von einer generischen dystopischen Welt abgelöst. Leider wird der Mangel an origineller Story nicht der einzige Makel von Özgür Yildirims „Boy7“ bleiben.
Das Gedächtnis ist leer, die Taschen sind es nicht. Eine Reihe aus Brotkrümeln führt Sam zu Lara (Emilia Schüle), der ein ähnliches Schicksal widerfahren ist. Zusammen versuchen die Beiden, sich an ihre letzten Wochen und Monate zu erinnern. Ein von Sam geführtes Tagebuch erweist sich dabei als besonders aufschlussreich. Nach und nach decken Sam und Lara die unschönen Dinge auf, die sich im mysteriösen Institut „Kooperation X“ ereignet haben. Für alle Kulturfreunde, die bereits mit ähnlicher Kost vertraut sind, hat „Boy7“ keine bahnbrechenden Neuerungen im Gepäck. Eine rätselhafte Nachricht von dem Protagonisten an den Protagonisten (besser bekannt als eine Prise „Total Recall“), die Suche nach verlorener Identität (der Schuss „Dark City“) und nicht zuletzt der Selbstzerstörungsknopf auf der menschlichen Fernbedienung (einiges von David Cronenberg). Auf dem Weg zu einem nicht sehr überraschenden Ende tritt „Boy7“ zielsicher in die Fußstapfen vieler Genre-Vorbilder.
Die sehr deutlichen Inspirationen, die zur Buchvorlage der holländischen Autorin Mirjam Mous führten, sind nicht das einzige Problem, für das sich „Boy7“ verantworten muss. Leider beweist sich hier erneut, dass die deutsche Filmnation es tatsächlich geschafft hat, sich seit den goldenen 20ern rückwärts zu bewegen. Wie der Begriff „dystopische Science-Fiction“ auf der deutschen Leinwand interpretiert wird, ist im internationalen Vergleich geradezu peinlich. Mit einem Produktionsdesign, das durch augenscheinliche Abwesenheit glänzt, tut der Film wenig, um sein Publikum in eine fantastisch-düstere Welt zu entführen. Stattdessen versuchen ein abgelegenes Anwesen im Norden Deutschlands, weiße Wände und graue Uniformen mühsam, die Illusion aufrecht zu erhalten. Und scheitern. Hier sei auch die permanente Schieflage der Kamera erwähnt. Ein visueller Trick ohne offensichtlichen Grund oder Effekt, der auf Dauer eher anstrengend wirkt.
Bis zur Zeitverschwendung reicht es allerdings auch nicht. Vor allem die Schauspieler liefern einige Impulse, die das Filmerlebnis genießbar und zeitweise sogar unterhaltsam machen. Neben den Protagonisten David Kross und Emilia Schüle ist es vor allem Jens Harzer, der als leicht sadistische Autoritätsfigur Isaak gefällt. Hätten Yildirim und Harzer mit der Figur des Isaak noch ein wenig aufs Gas gedrückt, hätte man sicherlich einen denkwürdigen und herrlich bösen Filmschurken auf die Beine stellen können.
Halbwegs durch den Film dämmert schließlich die längst überfällige Einsicht. Bin ich als fast 27 Jahre alter Filmmensch etwa zu alt für Verfilmungen von Jugendromanen? Handelt es sich bei der „Hunger Games“-Reihe oder Filmen wie „Divergent“ um die Filme, die dem Nachwuchs die selben, abgetretenen Sci-Fi-Plots in den Kopf hämmern? Vermutlich trifft beides zu. Die Zielgruppe des Films (das Buch wird für 10- bis 13-jährige empfohlen) wird mit diesem deutschen Versuch einer dystopischen Vision sicherlich ihren Spaß haben. Trotzdem muss man Özgür Yildirim und seinem Produktionsteam ankreiden, dass sie ihre ohnehin dünne Handlung nicht mit sichtbarem Elan umgesetzt haben.
5/10
Boy7
Action, Sci-Fi, Drama
Regie: Özgür Yildirim
Buch: Mirjam Mous (Romanvorlage), Özgür Yildirim, Philip Delmaar, Marco van Geffen (Drehbuch)
Darsteller: David Kross, Emilia Schüle, Ben Münchow, Jens Harzer, Jörg Hartmann
Kinostart DE: 20.08.2015
Kinostart US: –
Heimkinostart DE: –
–
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Ich habe den Film gestern in der Sneak Preview gesehen und wäre am liebsten schreiend rausgelaufen. Es war ziemlich trashig, vermutlich aber eher unbeabsichtigt. Super viele Logikfehler und teilweise Dialoge wo ma sich echt an den Kopf fassen muss. So wie ich das verstanden habe, wurde das aus öffentlich rechtlich Mitteln (GEZ) bezahlt und das merkt man den meisten Filmen einfach oft an.
Wie ich jetzt über imdb herausgefunden habe ist es ein remake eines im Februar erschienenen niederländischen Films. Warum tut man so etwas? In Amerika ist das ja schon Gang und Gäbe, weil die scheinbar keine Synchro, geschweigedenn OmU Filme schauen können. Ist das in Deutschland jetzt auch schon der Fall?