Eine der wohl größten Überraschungen des Filmfest München 2015 ist dieses Kleinod aus den USA. Mit einer losgelösten Narrative und Bildern, die rustikal und charmant anmuten, nimmt „Tired Moonlight“ sein Publikum auf einen Ausflug in das ländliche Amerika mit, wo das Glück noch mit der Hand geknetet wird.
Ein Tierkadaver auf heißem Asphalt. Gleißendes Sonnenlicht. Eine Handvoll tierischer Mitbewohner, die ungestört ihrem Alltag nachgehen. Eine Reihe von ungepflegten, provisorisch aussehenden Behausungen. Bevor die Zweibeiner das Geschehen ergänzen, springen unweigerlich Assoziationen zu Tobe Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“ durch den Kopf. „Tired Moonlight“ beschwört eine ähnlich kochende, verschwitzte Atmosphäre, wie einst Hoopers Horror-Meisterwerk. Filmemacherin Britni West verankert ihre Reise aber nicht im von wahnsinnigen Mördern bevölkerten Texas, sondern im viel entspannteren Wyoming. Folglich ist „Tired Moonlight“ um einiges versöhnlicher und verzichtet sogar komplett auf Kettensägen und Kannibalismus.
Die Erlebnisse der Figuren scheinen peripher. Es geht um eine Frau, die ihr Konto und ihre Tageszeit mit dem Sammeln und Verkaufen von Schrott füllt. Es geht um eine junge Mutter. Es geht um Liebe, gemeinsame Unternehmungen und Nähe. West legt viel mehr Wert darauf, uns den Kosmos ihrer Charaktere nahezubringen. Ihre Welt ist eine, die von den zivilisierten USA weit entfernt ist. Meilenweit außerhalb der großen Ballungszentren spielen sich Szenen einer gemütlichen, fast idyllischen Gesellschaft ab, die sich am Wochenende trifft, um Biere und Autorennen zu genießen, Mädchen hinterher zu pfeifen und das Dasein möglichst unaufgeregt zu gestalten. Antagonisten oder Spannungen bleiben fern, eine Art Höhepunkt findet man einzig in dem Independence Day, der kräftig begossen wird.
Der Film an sich ist nicht so simpel gestrickt, wie viele seiner Einwohner. Er funktioniert als Aneinanderreihung von Szenen, die uns das Treffen und Auseinandergehen seiner Charaktere zeigen und nebenbei ein lebhaftes Bild der ländlichen USA zeichnen. Über den Sequenzen schwebt gelegentlich die Stimme des Dichters Paul Dickinson, der „Tired Moonlight“ mit Auszügen seiner Poesie bereichert. Wie auch der Film selbst stimmen diese Zeilen nachdenklich, melancholisch, hoffnungsvoll und ultimativ glücklich.
Jedes gut programmierte Festival bietet Filme wie diesen. Eingeplant als Lückenfüller im Kalender, offenbarte sich „Tired Moonlight“ als eines der geheimen Highlights des Festivals, das sich unerwartet anschleicht. Mit warmen Bildern, harmonischen Klängen und einer großen Liebe für die Lebensweise ihrer Vorbilder baut Britni West einen zeitweise meditativen Film zusammen, der den Zuschauer so gut in seine Welt zu entführen vermag wie kaum ein anderer der letzten Jahre.
9/10
Tired Moonlight (2015)
Gesellschafts-Querschnitt
Regie: Britni West
Buch: Britni West
Darsteller: Liz Randall, Paul Dickinson, Hillary Berg, RainLeigh Vick, Charles Smith
Kinostart DE: –
Kinostart US: –
Heimkinostart DE: –
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