Eines der definitiven Highlights des Fantasy Filmfests 2015 ist eine spanische Perle mit dem Namen „Shrew’s Nest“ (oder im Original „Musarañas“). Mit der wilden Mischung aus Kammerspiel, Horrorthriller und psychologischem Drama schmeißen die Spanier einen effektiven Schocker auf die Leinwand, der sich nicht nur in den Grenzen seiner Genrevorgaben als überaus guter Film erweist.
Zwischen Wahnsinn und noch mehr Wahnsinn
Ein kurzer Blick ins Online-Wörterbuch gibt Aufschluss: Das Nagetier, das in der englischen Sprache als „shrew“ bekannt ist, wird hierzulande als Spitzmaus bezeichnet. Aber horch, was ist das? Neben dem Nager hat das Wort noch eine weitere Bedeutung. Eine, die bereits der Phrasendrescher William Shakespeare zu Papier gebracht hat. In „The Taming of the Shrew“ (oder „Der Widerspenstigen Zähmung“), einem Theaterstück, das lose auf den Geschehnissen des Films „10 Things I Hate About You“ basiert, geht es um die Abenteuer und Angelegenheiten einer ebenso unnahbaren wie unaushaltbaren Dame. Und so machte der Begriff die Runde und noch heute benutzt die anglophone Welt das Wort „shrew“ nicht nur in der Nagetier-Wissenschaft, sondern auch wenn es um die Bezeichnung eines „zänkisches Weibs“ geht.
Für Montse (Macarena Gómez), die seit Jahren von extremer Agoraphobie in ihrer madrilenischen Wohnung gehalten wird, ist der Begriff „zänkisches Weib“ schmeichelhaft. Die streng gläubige Despotin herrscht mit der eisernen Hand des Herrn über ihre kleine Schwester (Nadia de Santiago) und verfolgt vor allem ihre Bemühungen gegenüber Männern mit großer Missgunst. Die ohnehin instabile Lage gerät aus dem Gleichgewicht, als der Nachbar von oben, ein schneidiger Carlos (Hugo Silva) einen Purzelbaum durchs Treppenhaus schlägt und von der großen Schwester aufgenommen und versorgt wird. Herr Jesus würde schließlich dasselbe tun.
Es ist eine Weile her, dass das Kino ein gutes Kammerspiel aus dem Horror/Thriller-Bereich gesehen hat. „Shrew’s Nest“ hebt diesen Bann, tritt tapfer in Fußstapfen von Polanskis „Repulsion“ oder Reiners „Misery“ und vermeidet dabei die schlimmsten Genre-Klischees. An Stelle einer generischen Waldhütte befinden wir uns in einer rustikalen Altbauwohnung im Madrid der 50er. Dort entfaltet sich die Story von „Shrew’s Nest“, die zwar nicht revolutionär ist, aber einige Überraschungen zu bieten hat und überdies eine wichtige Regel befolgt. Der zentrale Charakter des knapp besetzten Stücks ist nicht etwa die namenlose kleine Schwester, die den Klauen ihrer schrägen Mitbewohnerin entfliehen muss. Im Kern der Geschichte steht mit Montse die interessanteste Figur der Konstellation. Die beiden Regisseure Juanfer Andrés und Esteban Roel, die hiermit ihren ersten Spielfilm abliefern, nutzen diese Gelegenheit, um einen beeindruckenden und beängstigenden Blick in einen schwer gestörten Geist einzufangen. Die verschwimmende Linie zwischen Täter und Opfer erinnert deutlich an Catherine Deneuves Carol aus „Repulsion“. Montses Kreativität, wenn es um das Festnageln eines aufmüpfigen Gastes geht, erinnert indes an „Misery“s köstlich bösartige Annie Wilkes.
Weiter verstärkt wird diese Idee durch die perfekt gecastete Macarena Gómez, die allen Kollegen mühelos die Show stiehlt. Ihre riesigen, stechenden Augen laufen mit Wahnsinn über und nehmen stellenweise eine geradezu dämonische Aura an. Gómez‘ Performance ist eine der besten schauspielerischen Leistungen der jüngeren Vergangenheit und dürfte sich auf längere Sicht in die ikonischen Frauenrollen des Horrorgenres einreihen.
„Shrew’s Nest“ übersteigt die üblichen Anforderungen an einen Genrefilm deutlich. Das spanische Kammerspiel ist ein sehr hochwertig produzierter, gut ausgestatteter und nahezu perfekt gespielter Film, den man eher als Drama bezeichnen könnte, das sich im blutigen Gewand eines Horrorthrillers kleidet.
Zur Blu-Ray
In der pechschwarzen Blu-Ray-Hülle fällt zunächst das stylische und sinnvolle Cover auf, das nicht nur gut aussieht, sondern den Film gut zusammenfasst, ohne etwas zu verraten. Über die zahlreichen Zitate, Logos und den FSK-Sticker muss man sich keine Sorgen machen, ein Wendecover lässt all das verschwinden.
Bild
Wie es sich für einen Film mit digitalem Entstehungsprozess gehört, kommt „Shrew’s Nest“ auf Blu-Ray mit einer ausgezeichneten Bildqualität daher. Die unterdrückten Farben und die wahnsinnigen Augen der Hauptdarstellerin kommen schön zur Geltung und auch in den (häufigen) dunklen Szenen machen sich weder Artefakte noch sonstige Bildfehler bemerkbar.
Ton
Zum größten Teil ist „Shrew’s Nest“ ein ruhiger Film. Er lebt von den Dialogen und dem tollen Schauspiel der Spanier. Die Tonspur hilft trotzdem dabei, die gedrungene Atmosphäre des Kammerspiels aufblühen zu lassen. Im späteren Verlauf des Films poltern, schreien und bluten die Akteure sehr potent durch alle Lautsprecher.
Extras
Making Of (09:34, deutsche Untertitel)
Ein kurzes Featurette, das hauptsächlich aus Interview-Fetzen und Aufnahmen hinter den Kulissen zusammengesetzt ist. Es gibt ein paar kurze Einblicke in den Dreh des Films und die Stimmung am Set. Dazwischen äußern sich Produzenten, Schauspieler und Regisseure über die Natur des Films und die der Hauptfigur. Sehr viel gegenseitige Beweihräucherung ist allerdings auch dabei
Alternatives Ende (05:53, deutsche Untertitel)
In diesem alternativen Ende ist die Szenenfolge des Films vorm Abspann etwas verändert. Eine spanische (untertitelte) Texttafel am Anfang erläutert die Änderungen und auch die Entscheidung, das Ende nicht zu verwenden.
Entfernte Szenen (5 Szenen, 11:39)
Fünf Szenen, die zwischen kurzen Zwischensequenzen und größeren Dialogen wechseln. Bemerkenswert sind die Texttafeln, die vor jeder Szene etwas zum Folgenden sagen und erklären, warum es die jeweiligen Momente nicht in den Film geschafft haben.
Trailer Deutsch (01:37)
Ein Trailer zum Film.
Trailer Englisch (01:37)
Der gleiche Trailer in spanischer Sprache.
Fazit
Die Kollegen von OFDb Filmworks haben der angestaubten Exploitation-Perle eine liebevolle Veröffentlichung beschert. Selbstverständlich ist der Hauptfilm in seiner ungeschnittenen Fassung vorhanden. Ein akzeptabler Transfer und einige sehr interessante Extras runden die Blu-Ray ab und machen sie zu einer Kaufempfehlung für Freunde des „etwas anderen“ Films.
Musarañas (2015)
Shrew’s Nest
Horror, Thriller, Drama
Regie: Juanfer Andrés, Esteban Roel
Buch: Juanfer Andrés, Sofia Cuenca, Emma Tusell
Darsteller: Macarena Gómez, Nadia de Santiago, Hugo Silva, Luis Tosar, Gracia Olayo
Kinostart DE: –
Kinostart US: –
Heimkinostart DE: –
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