Wenn man ein Festival für Exoten und Nervenkitzler veranstalten will, kommt man um Japan nicht herum. Die Asiaten gehören seit Jahren zu den Haupt-Exporteuren von allem, was exzessiv ist. Zumindest im Bereich der Popkultur. Auch das dort herrschende Verhältnis zum Tod und zur Darstellung von Tod unterscheidet sich mit dem Unseren wie Tag und Nacht. Als Stellvertreter für das asiatische Kino schickt das SHIVERS-Festival den Rachethriller „The World of Kanako“ ins Rennen. Dieser liefert alles, was man vom cineastischen Asia Imbiss erwartet. Und davon sogar zu viel.
Soooo japanisch..
Der Ex-Cop Akikazu Fujishima (Kôji Yakusho) führt kein beneidenswertes Leben. Ein Anfall von Jähzorn hat ihm seinen Job, seine Frau und seine Tochter gekostet. Heute verbringt er seine Zeit hauptsächlich mit Schwitzen, Schreien und Trinken. Zu den beiden Damen seines Lebens steht er nicht mehr in Kontakt. Das ändert sich, als Tochter Kanako unauffindbar verschwindet und Akikazus Ex ihn kontaktiert. Der raue Saufbold reißt sich zusammen und beginnt mit der Fahndung nach seiner Tochter. Auf der Suche nach einer vermissten Person ist es immens hilfreich, sie und ihre Angewohnheiten zu kennen. Am Anfang eines langen Weges aus Erkenntnissen muss der brutale Saufbold akzeptieren, dass er keine Ahnung hat, wen er da eigentlich sucht.

Das gemächliche, kunstvolle Kino von Kurosawa und Ozu ist lange nicht mehr das, was die Welt aus Japan sehen möchte, oder kriegt. Allerdings auch nicht das, was man erwartet, wenn im Programmheft die Worte „Rache“ und „Thriller“ stehen. Entsprechend vorbereitet ist man auf die Attacke auf Augen und Ohren, die „The World of Kanako“ ab Sekunde 1 auf sein Publikum losjagt. Und für die meiste ist dieser Rausch aus Schnitten, Farben und Tönen auch genießbar. Bis er es nicht mehr ist.
Regisseur Tetsuya Nakashima hat sich in „The World of Kanako“ übernommen. Zumindest wenn man ihn mit westlichen Augen betrachtet. Die Grundprämisse des Films ist durchaus clever. Wenn man davon ausgeht, dass die gesuchte Kanako sich als weniger braves Mädchen herausstellt und den gewalttätigen, alkoholischen Vater mit in die Rechnung nimmt, kommt man relativ schnell darauf, was „The World of Kanako“ übermitteln möchte. Dann, sobald man den Film verstanden hat, muss man noch knapp anderthalb Stunden voller Blut, Schmerz und Stakkato-Schnitten ertragen, in denen sich handlungsmäßig nicht mehr viel Wichtiges tut.

Nicht dass Blut und Schmerz an sich falsch wären, doch auch hier gibt es etwas zu meckern. Es mag auf den ersten Blick idiotisch scheinen, einen japanischen Film für seinen Mangel an Pietät zu kritisieren. Hier sorgt dieser aber leider für große Schwächen in der Dramaturgie, wenn beispielsweise ein Showdown in einem für Japan typischen (buchstäblichen) Blutbad endet und die Thriller-Elemente immer wieder von albernem Blut-Slapstick untergraben werden. Ich habe von einem Showdown gesprochen, weil der Film vor Showdowns nur so überläuft. „The World of Kanako“ hält weitaus länger an der Leinwand fest, als es ihm gut tut. Zusammen mit Subplots, die die eigentliche Handlung des Films nicht bereichern, entwickelt sich Nakashimas Film von einem düsteren, stimmigen Thriller zu einer Anstrengung.

Langweilig wird es trotzdem nicht. Die schiere Flut an Informationen, Farben, Tönen und Reizen nimmt den Zuschauer geradezu gefangen und hält ihn als Geisel. Das hört sich schlimmer an, als es ist, vorausgesetzt man ist empfänglich für wütende, stilisierte Beschallung aus dem asiatischen Raum. Wer jedoch Charaktere und Situationen braucht, an die man seine Sympathie und sein Bangen heften kann, der sollte „The World of Kanako“ auslassen.
5,5/10
Gesehen in Konstanz auf dem 1. SHIVERS-Festival
The World of Kanako (2014)
Thriller, Drama
Regie: Tetsuya Nakashima
Buch: Akio Fukamachi (Romanvorlage), Tetsuya Nakashima, Miako Tadano, Nobuhiro Monma (Drehbuch
Darsteller: Kôji Yakusho, Nana Komatsu, Satoshi Tsumabuki, Jun Kunimura, Miki Nakatani, Fumi Nikaidô
Kinostart DE: –
Kinostart US: 04.12.2015
Heimkinostart DE: –
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