Raschelndes Popcorn, unnötig laute Essgeräusche, überflüssige Kommentare der Sitznachbarn, unpassendes Gelächter und natürlich der moderne Klassiker, das Rumfummeln mit dem Smartphone. All das sind nur ein paar der schlimmsten Nervfaktoren, denen man heutzutage im Kino begegnet. Und wer bereits einen Kinobesuch mit mir bestreiten konnte wird wissen, dass ich mich gerne und viel zu sehr über derartiges Fehlverhalten aufrege.
Warum zieht es mich immer noch regelmäßig ins Kino, obwohl es meistens zu teuer ist, physikalischen Aufwand erfordert und man die Filme innerhalb von zwei Wochen sowieso auf DVD/Blu-Ray kaufen kann? Ganz einfach: Trotz der digitalen Revolution, die das cineastische Erlebnis für mich ein Stück weit eingeschränkt hat, bleibt das Kino nach wie vor die Kirche und Pilgerstätte für Filmfans wie mich und ist ohne Zweifel das Format, für das die laufenden Bilder produziert werden.
Über die Jahre habe ich dem Kino viele eindrucksvolle, denkwürdige und teilweise einschneidende Erlebnisse zu verdanken. In dieser Artikelreihe denke ich an die Besten der vielen Hundert Kinobesuche zurück und bereite sie auf. Hier die ersten Fünf:
1. Nosferatu, eine Symphonie des Grauens / Friedrich Wilhelm Murnau
Dezember 2010 / Metropolis (Hamburg)
Für den echten Cineasten ist ein Film mehr als nur eine Sequenz von schnell abgespielten Bildern. Es ist ein Fenster in eine andere Welt, in der man für eine Weile Gast sein darf. Damit meine ich nicht nur die Welt, die der Regisseur auf der Leinwand inszeniert, sondern auch seine eigene Welt und die Umstände, unter denen er seine Arbeit geleistet hat.
Als jemand, der sich für neben Film auch für Geschichte interessiert, ist es für mich etwas Besonderes, ein historisches Dokument wie „Nosferatu“ auf der großen Leinwand bewundern zu können. Im Dezember 2010 fand ich mich im damaligen Metropolis (jetzt Savoy) am Hamburger Hauptbahnhof ein, um einer Vorstellung des deutschen Stummfilm-Klassikers von 1922 beizuwohnen.
Perfektioniert wurde die Illusion der Zeitreise durch eine Klavierbegleitung im Kinosaal. Mit gut 100 Jahren ist der Film eine sehr junge Kunstform, trotzdem hat sie in diesem vergangenen Jahrhundert eine gewaltige Reise zurückgelegt. Zu den Wurzeln der Filmkunst zurückzukehren und sich mit ihnen zu beschäftigen ist ein wahrhaftig faszinierendes Erlebnis.
2. The Dark Knight Rises / Christopher Nolan
22. Juli 2012 / BFI IMAX (London)
Schon in jungen Jahren hatte ich dank meiner Eltern das Glück, viele verschiedene Ecken unseres Planeten besuchen zu können. Trotzdem dauerte es fast 24 Jahre, bis ich das erste Mal in einem nichtdeutschen Kino Platz nehmen konnte. Der erste internationale Kinobesuch, der ein paar Tage vor dem 22.07.2012 stattfand, sei allerdings verschwiegen, da er auf den grausamen „The Amazing Spider-Man“ verschwendet wurde.
So egal dieser erste Besuch war, der Zweite war umso unvergesslicher. Im Juli 2012 besuchte ich meinen guten Freund und langjährigen Komplizen Thomas in London. Natürlich machten wir es uns zum Ziel, den Abschluss von Christopher Nolans Batman-Trilogie während meines Besuches zu bestaunen. Leider verkauften sich die Tickets der Vorstellungen im lokalen IMAX-Kino schneller als Hoverboards und wir mussten uns bis zwei Tage nach offiziellem Kinostart gedulden, genauer gesagt bis zum 22. Juli um 5 (fünf) Uhr in der Früh.
Während andere Touristen also ihren London-Trip für end- und sinnlose Pub Crawls opferten, machten wir die Nacht kurzerhand zum Tag und stolperten vollkommen übermüdet um 4 Uhr morgens durch die britische Hauptstadt um im ausverkauften BFI IMAX Platz zu nehmen und die maßlose Enttäuschung zu erleben, die gemeinhin als Ende von „The Dark Knight Rises“ bezeichnet wird. Immerhin konnte ein authentisches Full English Breakfast den Schmerz etwas lindern, den Kalorienbedarf der folgenden 4 Jahre decken und das Erlebnis trotzdem zu einem der Höhepunkte meines Urlaubs machen.
3. Antichrist / Lars von Trier
Oktober 2009 / 3001 (Hamburg)
Wie oft kommt es vor, dass man einen Kinosaal legitim schockiert verlässt? Seit Jahren versuchen Filme wie die „Saw“-Reihe oder „Die Passion Christi“ es mit einer hartnäckigen und nicht enden wollenden Reihe an expliziter Gewalt, die vorrangig durch ihre Langweiligkeit und Einfallslosigkeit schockiert. Doch wenn das dänische enfant terrible Lars von Trier seine Depressions-Trilogie (die später von „Melancholia“ und „Nymphomaniac“ komplettiert wurde) beginnt und sich an einem waschechten Horrorfilm versucht, sehen die Vorzeichen schon anders aus.
Mit seinen letzten drei Filmen hat von Trier sich ohne Zweifel als ein Filmemacher etabliert, dessen Filme ihre Zuschauer zu einem Haufen aus Elend und Tränen degradieren. Ob man das gut findet, sei jedem selbst überlassen. „Antichrist“ trägt als einer der wenigen Filme der letzten Jahre die glasklare Signatur eines schwer depressiven Visionärs und ist vermutlich eines der wenigen wahrhaftig misanthropischen Meisterstücke.
Von Trier baut den Auftakt seiner Depressions-Trilogie als ein beklemmendes Kammerspiel zusammen, das neben seiner wundervollen Kameraarbeit vor allem von den Leistungen seiner beiden Akteure Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg lebt. Am Ende des desaströsen Kraftaktes holt der Däne schließlich zum Gnadenstoß aus und liefert eine Handvoll höchst expliziter Bilder, die seinem Publikum den Rest geben und mich erstmals sprachlos aus dem Kino wanken ließen.
4. Short Term 12 / Destin Cretton
27. September 2013 / Abaton (Hamburg)
Seit einigen Jahren ist das Hamburger Filmfest nicht nur ein persönlicher Pflichttermin sondern auch eines der Highlights meines Kalenders. Was gibt es schließlich Schöneres, als seinen Wohnort für eine gute Woche in die Hamburger Lichtspielhäuser zu verlagern? „Short Term 12“ vom hawaiianischen Regisseur Destin Daniel Cretton ist wahrscheinlich das beste Argument für den Besuch der internationalen Filmfestivals.
Im Programm der 2013er Auflage des Filmfests gab es viele Filme, auf die ich mich im Voraus gefreut habe, darunter die neuen Stücke der Coen-Brüder, Jim Jarmusch, Roman Polanski oder die Welsh-Verfilmung „Filth“. Doch niemals hätte ich gedacht, dass es ein amerikanischer Indie-Film sein würde, der sich bereits an meinem ersten Festival-Tag den Titel und die Krone des besten Films sichern würde. Nicht nur ist „Short Term 12“ eine der besten Überraschungen, die das Jahr bereit hielt, er ist auch eine absolute Offenbarung des modernen Charakterkinos.
Im Mittelpunkt steht die Mittzwanzigerin Grace, die von Brie Larson zur Perfektion gespielt wird. Grace ist zuständig für ein Pflegeheim, in dem psychisch kranke oder generell „problematische“ Jugendliche temporär untergebracht werden. Cretton zeigt uns ihren Alltag, der zwischen einer Beziehung mit ihrem Freund, Kollegen und später Verlobten Mason und ihren jungen Schützlingen hin und her pendelt. Der Auftritt des Mädchens Jayden stellt ihre Gefühlswelt gehörig auf den Kopf und konfrontiert sie nicht nur mit ihrer momentanen Situation sondern auch mit ihrer düsteren Vergangenheit.
Der Film balanciert die tragischen und komischen Aspekte des Lebens mit einer eleganten und mühelosen Perfektion, er ist bedingungslos aufrichtig, authentisch und zielt frei von sämtlichen erschöpften Klischees mitten in die Herzen seiner Zuschauer, wo er, zumindest bei mir, einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen hat.
5. Be Kind Rewind / Michel Gondry
24. März 2008 / UFA Grindel (Hamburg)
Der französische Regisseur und Visionär Michel Gondry hat mit „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ einen meiner absoluten Lieblingsfilme abgeliefert, zumindest wenn es um die akkurate Abbildung von Liebe und Erinnerung geht. In „Be Kind Rewind“ beschäftigt er sich mit dem Medium Film selber und beklagt den Niedergang der alten Videotheken und Filmläden im digitalen Zeitalter. Leider ist er von der innovativen Bildgestaltung und dem emotionalen Gewicht eines „Eternal Sunshine“ weit entfernt, doch der Grund für sein Auftreten in dieser Liste ist nicht die Qualität des Films selber.
Manchmal erlebt man als Kinogänger außerhalb der silbernen Leinwand Geschichten, wie sie nur das Leben selber schreiben kann. So geschah es im März 2008, als ich mich zum letzten Mal in den Sitzen des Kinos am Hamburger Grindelberg niedergelassen habe. In den Monaten zuvor hatte ich kaum einen Montag ausgelassen, an dem die traditionsreiche OV-Sneak stattfand. Viele denkwürdige Abende und Überraschungen konnte ich im UFA Grindel erleben, darunter die weihnachtliche Vorführung von Jason Reitmans „Juno“ oder die mit Abstand größte Fluchtaktion, die sich in der ersten Viertelstunde von „Saw 4“ ereignete.
Doch war es diese letzte Vorstellung, die sich dank der bitteren Ironie des Sujets von „Be Kind Rewind“ und der unbeschreiblichen Wehmut eines sterbenden Kinos, an dessen Stelle sich schon nach wenigen Wochen ein brandneuer Budnikowsky über den Kulturtod lustig machte, in mein Gedächtnis gebrannt hat.
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