Wie viele Filme und Geschichten gibt es, die unsere Helden am Rand der Welt aussetzen und sie auf ihrem Heimweg begleiten? Ziemlich viele. „Swiss Army Man“ schenkt uns einen kleinen Twist in Form einer angespülten, noch frischen Leiche, die dem schiffbrüchigen Helden der Story auf seinem Abenteuer Gesellschaft leistet. Zur deutschen Heimkinoveröffentlichung habe ich mir die etwas andere Indie-Perle aus den Staaten erneut angesehen.
Zum Film
So absurd und doch so menschlich
Schaut man sich zunächst die Oberfläche von „Swiss Army Man“ an, stimmen die abgetretenen Floskeln der PR-Maschine ausnahmsweise. Einen Film wie diesen hat man noch nicht gesehen. Geschrieben und gedreht von Daniel Kwan und Daniel Scheinert, einem Regiegespann, das sich schlicht „Daniels“ nennt und hier sein Kinofilmdebüt abliefert. Mit ihrer außergewöhnlichen Idee, die einen modernen Robinson Crusoe mit einem sehr toten Freitag kombiniert, haben sie Paul Dano und Daniel Radcliffe als Akteure gewonnen. Ersterer ein erprobter Veteran von Indie-Lieblingen wie „Little Miss Sunshine“ oder „Ruby Sparks“, letzterer bekanntermaßen Hauptdarsteller des „Harry Potter“-Franchises, der seine Filmografie durch interessante Projekte wie „Imperium“ oder „Horns“ ausbaut.
So finden Pauls suizidaler Hank und Daniels toter Manny sich schließlich, am Strand einer einsamen Insel, Kilometer von der Zivilisation entfernt. Die Regisseure schenken uns drei Minuten Normalität, in denen der unterernährte Hank sich einen Strick gebastelt hat und zum Freitod ansetzt. Seine absurde Reise tritt „Swiss Army Man“ kurz darauf an, als Hank herausfindet, dass er die angespülte Leiche mit Hilfe von Verwesungsgasen wie ein Jetski navigieren kann. Wenig später finden die ungleichen Freunde sich in einem Wald wieder. Ihr einziges Ziel, lebendig zur Zivilisation zurückkehren.
Gepfeffert wird ihr Abenteuer nicht nur durch die stetigen Flatulenzen und körperlichen Eigenarten von Manny, sondern auch von einem Funken Leben, der in den vermeintlich Toten zurückkehrt. Während das unendliche Gefurze den simpler gestrickten Teil des Publikums über einen großen Laufteil des Films bei Laune hält, sind es die Gespräche zwischen Paul und Manny, aus denen die eigentliche Substanz des Films besteht. Schon bald erahnt man, was sich im Kopf des zurückgezogenen Hank versteckt, wie er so weit von zuhause stranden konnte und vor allem, dass „Swiss Army Man“ weitaus cleverer ist als die meisten anderen Filme, in denen furzende Leichen eine übergeordnete Rolle spielen.
(Die folgenden Absätze enthalten Interpretationsansätze und Spoiler und sollten übersprungen werden, wenn man den Film noch nicht gesehen hat)
Anders als 90% der US-amerikanischen Komödien des neuen Jahrtausends dienen die körperlichen Absonderungen, die den Film dominieren, nicht bloß zum Selbstzweck. „Swiss Army Man“ setzt sich mit dem Phänomen des Andersseins auseinander. Und mit den Schwierigkeiten, der sozialen Isolation oder sogar den psychologischen Krankheiten, die daraus entstehen können. Als Werkzeug hierfür dienen der niedergeschlagene Hank und das unbescholtene Bewusstsein Mannys, der mit Hanks Weltbild konfrontiert wird. In ihrer Abgeschiedenheit diskutieren sie neben Fürzen andere heikle Themen wie Masturbation, Sex, tote Mütter, den Wert des Lebens oder die Courage, fremde Frauen anzusprechen.
Hinter dem Geflecht aus absurder, schräger Komik tritt zunächst eine tragische Ebene hervor, gefolgt von einem psychologischen Unterbau, der sich mit Menschen wie Hank Thompson auseinandersetzt. Jungen Leuten, die mit sich selber um Unreinen sind, ihren Platz in der Welt nicht finden, daran verzweifeln und sich zurückziehen.
Dass sich Kritiker und Publikum bei der Beurteilung eines Films großflächig einig sind, passiert nicht oft. Bei „Swiss Army Man“ ist es allerdings der Fall, und das aus gutem Grund. Er verspricht eine absurde, witzige Story und liefert einen vielschichtigen Film, der weder vor tragischen Elementen, noch vor dem intellektuellen Einspannen seines Publikums zurückschreckt.
Zur Blu-Ray
Bei capelight, einem der deutschen Independent-Filmverleihe, ist „Swiss Army Man“ gut aufgehoben. Wie es für die größeren Kaliber üblich ist, spendiert capelight dem Film ein schickes Mediabook, das neben dem Film auf DVD und Blu-Ray auch eine CD mit dem Soundtrack enthält.
Die technische Präsentation lässt kaum Wünsche offen, es gibt neben einer deutschen Tonspur (DTS-HD) den englischen Originalton im Dolby Atmos-Format sowie deutsche und englische Untertitel. Qualität von Bild und Ton sind auf dem hohen Niveau, das man bei der Veröffentlichung eines aktuellen Films erwarten kann.
An Bonus-Material bietet die Scheibe
- einen Audiokommentar der Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert zusammen mit Szenenbildner Jason Kisvarday und Soundmixer Brent Kiser
- Videomaterial vom Dreh
- 5 kurze Featurettes
- 3 geschnittene Szenen
- ein Interview mit Daniel Radcliffe, in dem er neben seiner Motivation u.a. auf die Botschaft des Films eingeht
- ein Q&A mit den Regisseuren und dem Soundmixer
- 2 Trailer
Swiss Army Man (2016)
Komödie, Drama
Regie: Daniel Kwan, Daniel Scheinert
Buch: Daniel Kwan, Daniel Scheinert
Darsteller: Paul Dano, Daniel Radcliffe
Kinostart DE: 13.10.2016
Kinostart US: 01.07.2016
Heimkinostart DE: 23.02.2017
–
Die Rechte an allen verwendeten Grafiken in diesem Artikel liegen bei capelight pictures