In der vierten Folge unserer kleinen, aber feinen Reihe True Shows möchte ich mich mit dem – meiner Einschätzung nach – besten Ärztedrama seit „Emergency Room“ befassen. Die Rede ist von der Serie „Dr. House“, in der das schroffe Diagnostik-Genie Dr. Gregory House (Hugh Laurie) seine Chefin, Kollegen und Patienten auf Trab hält.
Ein widerwärtiger Sympathieträger
Um den Inhalt kurz anzureißen: House ist ein arroganter, unfreundlicher, stoischer und mal mehr oder weniger sozialbehinderter Diagnostiker am Princeton-Plainsboro Teaching Hospital. Aufgrund eines Muskelinfarkts in seinem rechten Bein humpelt er seit einigen Jahren schon an seinem Gehstock und muss seine starken Schmerzen mit dem Opioid Vicodin behandeln. Als Wunderkind im Bereich der Diagnostik unterhält er ein Team von verschieden spezialisierten Ärzten, welches ihm die lästigen sozialen Kontakte mit seinen Patienten und deren Angehörigen erspart.
Aufgrund seines Talents und der Gnade seiner Chefin Dr. Lisa Cuddy (Lisa Edelstein) sind ihm so einige Privilegien gegeben, die House auch gerne und in vollen Zügen auskostet. Jede Episode – außer ein paar Zweiteiler – zeigt einen neuen Patienten, dessen Erkrankung von keinem anderen Ärtzeteam diagnostiziert werden konnte. Über jeder Folge wird sich zudem einer Art Grundthema angenommen, beispielsweise Religion, Treue oder Loyalität. Mit seinem besten und einzigen Freund Dr. James Wilson (Robert Sean Leonard) tauscht er sich immer wieder aus und debattiert mit ihm über Ethik, Moral, Sex, Liebe oder was gerade so anliegt.
Obwohl House anhand der bisherigen Beschreibung vielleicht unsympathisch wirken mag, ist der Protagonist trotz seiner negativen Haltung zum Leben und zu Menschen im Allgemeinen, ein charmanter Charakter. Vielmehr noch erscheint sein antipathisches oder teilnahmsloses Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen und deren Gefühlen eher aufgesetzt. Tief misanthropisch, teilweise depressiv und nachdenklich erweckt er sowas wie Mitgefühl beim Zuschauer und macht sich selbst zum Opfer seines eigenen Wesens. Beispiele für seinen geplagten Geist gibt es in Hülle und Fülle innerhalb der Serie.
Wer jetzt denkt, dass die Episoden nach Schema F abgehandelt werden, den darf ich glücklicherweise enttäuschen. Na gut, es kommt öfter der Verdacht auf, dass die Diagnose Lupus sein könnte (Meme-Alert: It’s not Lupus!). Aber die Geschichten und der übergreifende rote Faden der Serie bleiben – bis auf wenige Momente – jederzeit spannend und interessant. Das Charakterspiel und die Entwicklung der einzelnen Figuren, insbesondere House und Wilson, machen stets einen runden Eindruck.
Auch Houses erstes Team, bestehend aus Chase (Jesse Spencer), Cameron (Jennifer Morrison) und Foreman (Omar Epps), durfte eine weitreichende charakterliche und zwischenmenschliche Entwicklung erfahren. Wohingegen Chase zunächst eher auf sich selbst bezogener Mitläufer erscheint, baut er eine autonome Persönlichkeit auf, die als Charakterbogen wunderbar ins Bild passt. Auch die eher piepsige Cameron, der ein Wenig das Selbstbewusstsein abhanden gekommen ist und die stets tief hinsichtlich der Gefühle und Ängste der Patienten sowie Angehörigen involviert ist, macht eine Transformation durch. Schließlich darf Foreman, der sowohl egoistisch und selbstgerecht agiert als auch eine gewisse Abneigung gegenüber House hat, sich im Laufe der Serie zunehmend verändern.
Wechselspiele, Durchbrüche und Renaissance
Nachdem der Stammcast in den ersten drei Staffeln aus House, Wilson, Cuddy und seinen drei Minions Chase, Cameron und Foreman bestand, gab es ab der vierten Season immer wieder Neuordnungen in der Besetzung. Neben Peter Jacobson, Olivia Wilde und Kal Penn bekommt das Diagnostik-Team auch durch Odette Annable, Charlyne Yi und Amber Tamblyn Zuwachs. Allgemein nimmt die Dynamik unter den Charakteren mit der vierten Staffel zu. Dabei werden die Figuren stets mit Inhalt gefüllt, sodass man es tatsächlich mit Personen zu tun hat und nicht mit leeren Hüllen. Vor allem Remy „Thirteen“ Hadley (Wilde) und Taub (Jacobson) spielen eine zentrale Rolle während der Serie.
Viele Darsteller durften durch „Dr. House“ entweder ihren schauspielerischen Durchbruch oder Renaissance feiern. Als Durchbrüchler könnte man unter anderem Jennifer Morrison, Jesse Spencer, mit Abstrichen Omar Epps oder Olivia Wilde sehen, die durch diese Serie einen bis dato nicht da gewesenen Bekanntheitsgrad erreichen konnten. Aber auch Lisa Edelstein und Robert Sean Leonard wurden durch ihre Hauptrollen und brillanten Leistungen zu wahren A-Listern. Den wohl gewaltigsten Karriereschub hat aber ohne Zweifel Hugh Laurie als der Protagonist House gemacht. Nebst zahlreicher Preise durfte Laurie zwei Jahre in Folge (2006/2007) den Golden Globe als bester Hauptdarsteller in einer Dramaserie sowie viele weitere Nominierungen zurecht einheimsen. Der in Großbritannien bereits mit Koryphäe Stephen Fry im Comedy-Duo berühmte Engländer konnte mit dieser Rolle seinen Durchbruch als weltweit bekannter Schauspieler feiern. Wie passend, dass ein Brite in der US-Neuinterpretation eines weltberühmten britischen Krimicharakters vollkommen aufgeht und sich damit in den Olymp der Seriendarsteller gehoben hat.
Hinzu kommen immer wieder starke Gastauftritte mehr oder minder bekannter Charakterdarsteller/innen. Neben Anne Dudek, die als Amber eine ausgedehnte Rolle innerhalb der vierten Staffel einnehmen durfte und zeitweise Teil des Team House war, kann man sich auch an Performances von Chi McBride, David Morse, Sela Ward, Jeremy Renner (vor „Hurt Locker“ und ohne Knarre), James Earl Jones und sogar Franka Potente als partner in crime erfreuen.
Meine persönlichen Highlights
Entlang vieler sehenswerter Episoden hat „Dr. House“ auch ein paar wirkliche Highlights zu bieten. Ohne tiefer auf den Plot der einzelnen Folgen einzugehen, gebe ich euch hier eine kurze Aufzählung der herausstehenden Ein- bzw. Zweiteiler:
- Staffel 1, Episode 1 – „Pilot“:
Unsere Reise beginnt. - Staffel 1, Episode 21 – „Three Stories“:
Die Hintergründe von Houses Behinderung. - Staffel 2, Episode 17 – „All In“:
Ein nicht gelöster Fall wird wieder aufgerollt. - Staffel 2, Episoden 21 & 22 – „Euphoria, Part 1 & 2“:
Im Fokus sind die Beziehungen zwischen House und seinem Team sowie Cameron und Foreman. - Staffel 2, Episode 24 – „No Reason“:
Ein ehemaliger Patient will Rache an House nehmen. - Staffel 3, Episode 1 – „Meaning“:
House kann laufen. - Staffel 3, Episode 5 – „Fools for Love“:
Ein neuer Rivale. - Staffel 3, Episode 24 – „Human Error“:
House vs. Team House. - Staffel 4, Episode 1 – „Alone“:
House steht ohne Team da. - Staffel 4, Episode 8 – „You Don’t Want to Know“:
Lupus! - Staffel 4, Episode 9 – „Games“:
Das neue Team steht. - Staffel 4, Episode 15 & 16 – „House’s Head (1) / Wilson’s Heart (2)“:
House versucht sich mithilfe von Vicodin an etwas zu erinnern. Der erste Teil wurde mit dem Emmy ausgezeichnet. - Staffel 5, Episode 4 – „Birthmarks“:
Eine Beerdigung steht an. - Staffel 5, Episode 5 – „Lucky Thirteen“:
Etwas Backstory für Thirteen. - Staffel 5, Episode 6 – „Joy“:
Interessantes Spiel zwischen Cuddy und House. - Staffel 5, Episode 9 – „Last Resort“:
Ein Geiseldrama spielt sich ab. - Staffel 5, Episode 19 – „Locked In“:
Ein Patient kann sich nicht mehr verständigen, bekommt aber alles mit. - Staffel 5, Episode 20 – „Simple Explanation“:
Ein Teammitglied verlässt die Serie. - Staffel 5, Episode 22 – „House Divided“:
House hat Halluzinationen und gefährdet einen Patienten. - Staffel 5, Episode 23 – „Under My Skin“:
House sucht Hilfe bei Cuddy. - Staffel 5, Episode 24 – „House Divided“:
Der Zusammenbruch.
- Staffel 6, Episode 1 – „Broken“:
House fliegt über das Kuckucksnest… mit Franka Potente. - Staffel 6, Episode 3 – „The Tyrant“:
Ein afrikanischer Despot im Stile Idi Amins wird eingeliefert. - Staffel 6, Episode 9 – „Wilson“:
Ein tieferer Einblick in Wilsons Psyche. - Staffel 6, Episode 11 – „Remorse“:
House versucht etwas wieder gut zu machen. - Staffel 6, Episode 20 – „Baggage“:
Eine Patientin hat ihr Gedächtnis verloren. - Staffel 6, Episode 21 – „Help Me“:
Ohne Worte, eine der besten Episoden überhaupt. - Staffel 7, Episode 13 – „Two Stories“:
House beim Career Day einer Schule. - Staffel 7, Episode 18 – „The Dig“:
Thirteen wird von House abgeholt. - Staffel 7, Episode 22 – „After Hours“:
House operiert sich selbst. - Staffel 7, Episode 23 – „Moving On“:
Eine Party wird gecrasht. - Staffel 8, Episode 1 – „Twenty Vicodin“:
House ist im Knast und trifft eine Arztkollegin. - Staffel 8, Episode 11 – „Nobody’s Fault“:
Das Team wird lebensgefährlich attackiert. - Staffel 8, Episode 18 – „Body and Soul“:
Wilson hat Krebs. - Staffel 8, Episode 19 – „The C Word“:
House möchte Wilson während seiner Therapie begleiten. - Staffel 8, Episode 20 – „Post Mortem“:
Chase verlässt die Bühne. - Staffel 8, Episode 21 – „Holding On“:
Wilson entscheidet sich dafür nicht weiter zu kämpfen. House hat wieder mal rechtliche Probleme. - Staffel 8, Episode 22 – „Everybody Dies“:
Serienfinale. House stirbt. Bromance.
Sherlock Holmes mit Stethoskop und Gehstock
Als Kenner der Sherlock Holmes Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle, fallen einem sofort die charakterlichen Parallelen zwischen dem Meisterdetektiv und House auf. Serienchef David Shore sieht seinen Hauptcharakter als ein Spiegelbild Sherlocks im Arztkittel – obwohl dieser selten an ihm zu sehen ist. Ein paar offensichtliche Ähnlichkeiten vorweg in Listenform:
- Beide üben einzigartige Berufe aus: (beratender Detektiv vs. diagnostischer Mediziner) und dürfen sich ihre Fälle normalerweise selbstständig aussuchen.
- Holmes und House arbeiten mit ungewöhnlichen Methoden und nicht allein – Sherlock mit Watson, House mit seinem Team ± Wilson und/oder Cuddy. Auch die Science of Deduction wird von beiden Figuren angewendet.
- Wie Holmes ist auch House drogensüchtig: Der eine bevorzugt Kokain und Morphin, der andere sein leckeres Vicodin.
- Die phonetischen Ähnlichkeiten der Namen House und Holmes sowie Wilson und Watson liegen wohl auf der Hand.
- Beide Hauptcharaktere wirken eher asozial gegenüber ihren Mitmenschen, mit Ausnahme ihrer besten Freunde. Auch die Indifferenz hinsichtlich der Gefühlslage und Schicksale ihrer Patienten/Klienten, Freunde, Feinde und Mitstreiter erweist sich als ähnlich.
- Sowohl House als auch Sherlock spielen Instrumente (Klavier und Gitarre bzw. Geige), um sich zu entspannen oder um Wilson resp. Watson eine Freude zu bereiten.
- Die Adressen der Protagonisten sind identisch: 221B Baker Street.
Neben diesen eindeutigen Parallelen lassen sich zudem einige Neuinterpretationen bei „Dr. House“ feststellen. Während Watson Sherlock bei all seinen Fällen assistiert, übernimmt diese Rolle sein Team. Die Behinderung von House ähnelt der Kriegsverletzung von Watson in den Abenteuern von Sherlock Holmes.
Und hier wären wir bei einem interessanten Punkt: Da die Fälle und Erkrankungen für House eher das alltägliche Geschäft darstellen und in diesem Sinne keine menschlichen Hauptschurken auszumachen sind, könnte man sowohl sein Bein als auch seine Abhängigkeit zu Schmerzmitteln als Houses persönlichen Moriarty identifizieren, der in den Holmes-Storys den Erzfeind des Superdetektivs darstellt. Darüber lässt sich natürlich debattieren, aber zumindest ist dieser Schachzug der Serienmacher und -schreiberlinge ein valides Mittel, um ein ständiges Feindbild zu schaffen.
Des Weiteren kann man Cuddy als eine Art Reinterpretation von Inspector Lestrade aus den Holmes-Storys verstehen. Sie spielt praktisch die Vorgesetztenrolle, die Houses ungewöhnlichen und teilweise auch gefährlich-radikalen Methoden größtenteils toleriert und im Endeffekt ergebnisorientiert handelt.
Zu guter Letzt gibt es immer auch kleinere Andeutungen und Winks zum Publikum, um die Assoziation zwischen Holmes und House zu zementieren. Beispielsweise ist die erste Patientin eine gewisse Rebecca Adler, natürlich eine Anspielung auf die Femme Fatale Irene Adler in den Geschichten von Conan Doyle.
Das beste Ärztedrama aller Zeiten
Zum Abschluss kann ich nur noch sagen, dass „Dr. House“ in meinen Augen die beste Arztserie aller Zeiten im Bereich Drama ist. Keine „vergleichbare“ Show hat es meiner Meinung nach geschafft, über acht Jahre derart konstant gut und interessant zu bleiben. Manch einer mag sogar behaupten, dass House die gelungenste moderne Adaption des Holmes-Charakters ist. Sicherlich kann man sich in diesem Punkt streiten, wo es doch die BBC-Serie „Sherlock“ mit Benedict Cumberbatch und Martin Freeman in den Hauptrollen gibt. Doch auch hier muss ich dem US-Krankenhauspendant vermutlich eine halbe Note mehr zugestehen. Hugh Laurie blüht in dieser Rolle voll und ganz auf, schafft es dabei auch, den Zuschauer einen Misanthropen lieben zu lassen. Viel besser geht das eigentlich kaum. Einzig und alleine die – bei der Menge an Episoden verständlichen – weniger interessanten Folgen vermiesen das perfekte Ergebnis.
9/10
Die komplette Serie
DVD / Blu-Ray (Import mit deutschem Ton)
Staffel 1-8 einzeln auf DVD
Staffel 1 / Staffel 2 / Staffel 3 / Staffel 4 / Staffel 5 / Staffel 6 / Staffel 7 / Staffel 8
Staffel 1-8 einzeln auf DVD
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House M.D. (2004)
Dr. House
Drama, Mystery, Arzt ohne Grenzen
Showrunner: David Shore
Darsteller: Hugh Laurie, Robert Sean Leonard, Omar Epps, Lisa Edelstein, Jennifer Morrison, Peter Jacobson, Olivia Wilde, Kal Penn, Odette Annable, Charlyne Yi, Anne Dudek, Jennifer Crystal Foley, Amber Tamblyn
Länge: 45 Minuten pro Folge
Staffeln: 8
Folgen: 176 Folgen
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